Stadtbibliothek Oliveira do Bairro, 14. April 2002 — Buchvorstellung

Barbara Seuffert, "Don Juan" und die Marien vom Lande
Eine Deutsche beschreibt die dörflichen Traditionen in einer Zeit des Umbruchs

Laudatio von Profª Rosinda de Oliveira, Mamarrosa-Penedos  (Auszug)        [português]

(Ins Portugiesische übersetzt von Dra. Célia Loeffers Jorge, Hamburg / Bebedouro
erschienen: Dezember 2001, ISBN 3-9806389-301
Dt. Titel: "Der Portugiese ist der beste Liebhaber" oder Mein Casanova ist blau, Güstrow/M-V 1998
Luazul-Verlag , Güstrow // P 3840-301 Ouca-Carregosa Portugal, Tel. 00351-234 79 58 03, Fax 234 79 58 04, Internet www.luazul.com)


    Es ist mir eine große Ehre und erfüllt mich mit großer Freude, über das Buch von Barbara Seuffert " 'Don Juan' und die Marien vom Lande" sprechen zu dürfen.
Doch gestatten Sie mir zuvor, kurz etwas über die Autorin zu sagen.
Barbara Seuffert ist in Deutschland, in Stettin, geboren, einer Stadt, die heute zu Polen gehört. Sie hat unter den Schrecken und Wirren des Krieges und unter dem Aufeinandertreffen extremer Ideologien gelitten und musste deshalb schon als Kind die Heimat verlassen und mehrmals flüchten. Es genügt zu erwähnen, dass sie bis zum Abitur achtzehnmal die Schule wechselte. Sie war Oberstudienrätin für Deutsch und Religion an verschiedenen Gymnasien, bis eine lebensbedrohende Krankheit sie zwang, den Lehrberuf aufzugeben. Sie verbrachte lange Zeit in Krankenhäusern. Dort lernt sie eine Frau aus Vagos kennen, eine Leidensgefährtin, die sie dafür begeistert, das Land der Portugiesen zu besuchen. Und so kommt Barbara Seuffert 1984 nach Vagos, aber vor allem in Carregosa begeistert sie alles, was sie antrifft. Sie sagt, dass das ländliche Leben dem in ihrer Kindheit glich, als sie bei den Großeltern aufwuchs, in jenem Teil Deutschlands, der heute zu Polen gehört. Von dort bis zu diesem leidenschaftlich geliebten Ort, den sie als ihre neue Heimat empfindet, war es nur ein kurzer Schritt...
Sie, die nur zu Besuch gekommen war, denkt nicht mehr ans Zurückfahren, hat sie doch den Begriff und die Bedeutung des Wortes "Saudade" kennen gelernt. Alle Begeisterung, alle Schönheit - sie muss alles festhalten. Und so kommen zu ihren großen Büchern über Krisen- und Krankheitsbewältigung, über die sie immer in der Form der Erzählung schreibt, weitere vier Bücher mit durch und durch portugiesischer Thematik hinzu. Das erste aus dieser Reihe erschien 1987 unter dem Titel "Meine blauen Träume".


Barbara Seufferts Sprache

Von Barbara Seufferts Stil sprechen, heißt von einer Sprache reden, die sich über alle Buchseiten ergießt wie das klare Wasser der Bäche, das in früheren Zeiten lachend und singend durch unsere Dörfer floss und mit Kieselsteinen und Trauerweiden leise Liebeslieder anstimmte... In den Zeilen werden die Personen lebendig, treten hervor, handeln ganz unbefangen, in ihrer Art einfach und spontan. Sie wecken uns auf und beginnen mit uns zu reden, dass wir, ohne es zu merken, ganz allmählich anfangen, dieses Land zu verstehen, die Menschen zu lieben, Träume gewahr werden und uns nach dem bescheidenen Weg des Himmels sehnen... Und das alles geschieht durch die schreibende Hand einer Fremden. Sie kommt nach Portugal, angeregt durch die langen Gespräche mit der portugiesischen Freundin in Deutschland. Sie verbringt hier ihre Ferien. In einer Mischung aus Neugier und sogar ein wenig Abenteuerlust, und warum auch nicht ... "Die Ernte ist groß", "das Reich Gottes ist da" - hier ist die ganze Welt.

Sie kommt an. Und ein völlig neues Universum der Töne, der Bräuche, der Sitten, der Lebensweise eröffnet sich ihr. Angesichts dieser Faszination des Augenblicks geschieht es, dass die Frau - Barbara Seuffert -, die wie nur wenige Menschen die Geheimnisse der Worte beherrscht und mit ihnen umzugehen weiß - lebt, denkt, lernt, fühlt, handelt. ... Ihr Leben, das Leben der Wörter, da ist es... Und im Nu nimmt dieses Büchlein Gestalt an.
In ihm ereignet sich alles wie in einem wirbelnden Strudel, und alles können wir ihm ablauschen:
das Raunen und Flüstern der Dinge, die Freundschaft unter Nachbarn und Bekannten, die Hetze des Alltags, und gleichzeitig der Stillstand des Lebens oder besser die Schläfrigkeit, die die Großmutter São einhüllt oder auch die alte Luz, die den Ziegenpeter zu heilen weiß, und viele andere Menschen und vieles andere mehr, alle die vielen kleinen Nichtigkeiten, die das tägliche Leben ausmachen.
Da ist die katholische Messe im Dorf (bestimmt in Carregosa), wie sie von einer Fremden mit einer anderen, nämlich der protestantischen Konfession gesehen wird... Alle Einzelheiten werden genau beobachtet und beschrieben, und wir stellen fest, dass unsere Messe in der Beschreibung dieser Protestantin genau getroffen ist. Beachtlich, dass sie unseren Gottesdienst sehr kurz findet, während wir ihn doch meistenteils als viel zu lang empfinden! Die Lieder, so heißt es, werden ohne Stimmbildung, aber sehr kraftvoll, aus voller Kehle und mit reinem Herzen gesungen. (So der von ihr verwendete Ausdruck)
Und wir fühlen uns aufgerufen, über diese Eindrücke einer Person nachzudenken, der unser katholischer Gottesdienst fremd ist. Traditionell, manchmal fast wie improvisiert, ohne groß in die Tiefe zu gehen. Wohlgemerkt, hier handelt es sich um Beobachtungen von jemand, der aus dem Protestantismus kommt, einer lebendig-kritischen Konfession, die von Grund auf reformiert und hinterfragt ist, und gleichzeitig von einer Gemeinde, die sehr viel mehr an Glaubensfragen interessiert ist. Sie findet unseren Gottesdienst sehr offen, aufgeschlossen und lebendig, sagt aber auch immer wieder, dass sich die evangelische Kirche hier in Portugal eher verschlossen zeigt. Sie bewundert die spontane, freundliche und herzliche Art, mit der sie in der katholischen Gemeinde aufgenommen wird und wie man miteinander den gleichen Glauben teilt, der sich doch nur wenig unterscheidet, weil er schließlich dieselben Fundamente und dieselbe Wurzel hat: Jesus Christus.
Einerseits läßt sie durchblicken, dass dem katholischen Gottesdienst die Innerlichkeit und das theologische Grundwissen fehlen, andererseits bewundert sie die Unverkrampftheit, Aufgeschlossenheit und Fröhlichkeit der Menschen im sonntäglichen Gottesdienst. ... Man merkt auch, wie sehr sich die Autorin bemüht, in das Dorfleben einbezogen zu werden, das sie so sehr an ihre Kindheit im Hause der Großeltern erinnert. Deshalb ist ihre Freude groß, als sie bei den Liedern und Chorälen mitsingen kann und sich dadurch im Dorf integriert fühlt. Und das größtenteils durch katholische Messgesänge, obwohl sie doch so sehr dem protestantischen Liedgut verpflichtet ist.

Meine Damen und Herren!
Wir haben es hier mit einer sehr flüssigen, dabei schlichten und offenen Sprache zu tun, in der sich Direktes mit Indirektem mischt: Beobachtungen, Anmerkungen, Reflexionen und zahlreiche, aber immer geläufige und natürlich wirkende Redewendungen, so dass wir uns sanft in das Dorfleben alter Zeiten in der Beira Litoral versetzt fühlen. Oder so: Die Erzählungen gleichen einem Spiegel, in dem man die staubigen Wege, die tägliche Arbeit der Dorfbewohner, die Geschäftigkeit der Hausfrauen und die Cafébesuche der Ehemänner bestaunen kann, die dort über ihre Geschäfte, Arbeit, Pläne, über Fußball und so viele andere wichtige und unwichtige Dinge reden.

Durch das ganze Buch weht ein frischer Wind, eine angenehm duftende leichte Brise, wenn auch mit einem nordischen Flair, das den verzweigten und vielfältigen Beobachtungen Schärfe verleiht.

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[...] Wie die Menschen singen und tanzen, aber besonders, wie sie essen und trinken, wird beschrieben. Und die Autorin gibt die Formulierungen genau wieder, bestimmt, um die Intensität dieses Tuns überzeugend darzustellen, aber auch, wie wir vermuten können, um ihr Staunen über die so andere Lebensart auszudrücken. Es lohnt sich, ihre Worte zu lesen, diese Formulierung: Tanzten sie (die Portugiesen), dann tanzten sie, aßen sie, dann aßen sie, tranken sie, dann tranken sie, aber auch: beteten sie, dann beteten sie.
"Sie tanzten volle 4 Stunden lang, ohne sich auszuruhen, ohne Schwäche zu zeigen, ohne Wadenkrämpfe, Magenleiden oder Schweißausbruch. Diese Leutchen!" - so schreibt Barbara Seuffert. - "Wenn sie aßen, dann aßen sie. Viel, ruhig, gern. Sie aßen. Einfach nur das. Wenn sie tranken, dann tranken sie, aber richtig. Wenn sie beteten, dann beteten sie hingebungsvoll. Wenn sie tanzten, dann tanzten sie." (S.62)
Und wenn die portugiesischen Speisen und Gerichte beschrieben werden, genauer gesagt, die dörflichen, die Vorbereitungen für ein Festmahl oder eine Hochzeit, so geschieht das so lebendig, klar und zutreffend, dass man meint, man schält selbst die Zwiebeln und den Knoblauch, hantiert mit Gehacktem, Gewürzen, Weingemischen - alles wird so köstlich beschrieben, mit treffsicheren, malerischen und lebendigen Wörtern, dass wir uns das Lammfleisch, das da mit Gewürzen in braune oder schwarze Tonschüsseln geschichtet wird, sehr gut vorstellen können - und wie es in den heißen Backofen geschoben wird, wo ein Feuer aus Weinreisern und Holzscheiten brennt...

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Es ist eine Sprache voller sinnlicher Impressionen. Klänge, Farben, Düfte, Geschmack und Gefühl verbinden sich in den Zeilen eines Sprachstils, doch der Realitätsbezug bleibt immer gegenwärtig, wenn auch manchmal mit einer geradezu schockierenden Naivität.
"Es roch nach Erde. Nach dieser fruchtbaren Erde. So riecht es im Garten nach einem Mairegen. Hier mischten sich der harzige Duft des nahen Pinienwaldes mit hinein und der Eukalyptusgeruch der hohen Bäume am Weg. Es war ein himmlischer und doch so irdischer Duft." (S.85)
... - nichts entgeht der Schreiberin; alles hält sie in ihrem Buch fest.

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Eine Erzählweise einer aufmerksamen, auf alle Details achtenden Erzählerin, deren Wachheit alle die alltäglichen Begebenheiten in jedem Moment einfühlsam mit großer lebendiger Anteilnahme erfasst, die sich von Anfang bis Ende durchhält, so dass von ihr diese schöpferische Kraft ausgeht, eine Kraft, die diese Erzählungen zu einem Spiegel der Autorin werden lassen, in dem sich aber auch ihre vielen Figuren spiegeln, die ihr begegnen und Gestalt annehmen.
Auch Menschen bei ihren Versammlungen, beim Fußballspiel auf provisorischen Fußballplätzen, die fantastischen Gelage mit Sardinen, Bier, Grillsteaks - Leckerbissen, Leckerbissen gerade auch für die Feder Barbara Seufferts. ... Es ist unmöglich, alle die kleinen Dinge zu erwähnen, die wir eigentlich unwichtig finden, die aber für diese Deutsche einen hohen Stellenwert haben, den einer starken und gleichsam magischen Wirkung, nicht nur, dass sie uns unvergessliche Stimmungen und menschliche Landschaften erleben lassen, die Wärme und die Lebendigkeit der Erzählung lassen niemanden unberührt.

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Dieses kleine Buch entfaltet eine gewaltige Kraft, die uns aufrüttelt, gleichzeitig aber auch mit Wohlwollen und Zärtlichkeit umgibt, die in jedem Satz der Autorin mitschwingen. Steine, Käfer, Menschen, ja, die ganze Natur fließt in der Feder von Barbara Seuffert, die sie unaufhörlich zum Leben erweckt und vor uns in Szene setzt, lebendig und verführerisch begehrenswert. Es sind unbedeutende Dinge, die uns gewöhnlichen Alltagsmenschen, die wir allzu oft in blinder Geschäftigkeit und arger Mittelmäßigkeit leben, bei allen überflüssigen und sinnlosen Vorhaben nie auffallen würden, denen wir Leben, Bewegung, Licht und Farbe zu geben nie imstande wären.
Es ist für uns ein heilsames Wachrütteln im alltäglichen Ablauf und ein Aufruf, auf manches Acht zu geben, das wir besitzen und nicht richtig zu schätzen wissen. ... Schließlich ist es eine Fremde, die uns hilft und uns Portugiesen die Augen dafür öffnet, was wir Wertvolles besitzen: ein traditionsreiches Kultur- und Zivilisationserbe "sui generis".

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Für Barbara Seuffert ist alles ganz neu und vor ihrem Kameraauge einer Aufnahme wert. Und sie ist außerordentlich genau und objektiv bei ihren Beobachtungen, bis aufs i-Tüpfelchen, nichts entgeht ihr.
Was sie zum Beispiel alles über die besagten Fußball-Meisterschaften mitten im Pinienwald beschreibt; ... Aber es sind auch die alten Leute, die Kinder, die Frauen und Männer bei ihrem täglichen mühevollen Kampf ums Dasein - nichts und niemand entkommt dem Einfühlungsvermögen und der Sensibilität dieser unvergleichlichen Beobachterin.
Alle Geschichten in diesem Buch sind wirklich interessant und amüsant, aber die vorletzte hat einen ganz besonderen Charakter, wegen der dort geschilderten Situationen, die das Leben hier porträtieren, wie es besonders seit Mitte des letzten Jahrhunderts, seit der Emigration, war. Diese Geschichte heißt "Die dramatische Rosa". ...
Aber immer ist selbst die Karikatur bestimmter Situationen in einer Form dargeboten, manche Szenen sind so fein gezeichnet, dass sie wie einzigartige Augenblicke unter den einzigartigen Gegebenheiten des Lebens aufleuchten... Es ist fantastisch! Und in einer Sprache, die, wie wir schon betonten, so unmittelbar anspricht, so lebendig und so wirklichkeitsnah. Es erscheint uns so, als stünden wir in einem Zuschauerraum, wo vor unseren Augen ein Stück abläuft, Szenen, die sich auf irgendeiner Bühne des Lebens abspielen! ...
Das Buch endet mit der Geschichte "Die freien Wildbretschützen". Und mit einem nur raschen Blick darauf, damit wir zum Schluss dieser Betrachtungen kommen, behalten wir diese Worte aus dem Mund von Barbara Seuffert über so ganz eigene portugiesische Dinge: "Wenn das Schlachten angeht und die Wurst geräuchert wird, wenn die Schnapsbrennerei summt..."

Und was gibt es schließlich zu sagen zum Titel des Buches "Der Portugiese ist der beste Liebhaber" bzw. was ist mit dem "Don Juan" ?
Nun, mir scheint, dass Barbara in dieser Hinsicht den typischen "Don Juan", den besten Liebhaber Portugals, nicht gefunden hat, wohl aber Frauen und Männer, Portugiesen, die hier aufwachsen, leben, träumen, lieben, leiden und arbeiten wie die Menschen überall auf der Welt.

(Übersetzung B. S. am 21.Mai 2002)