"DER PORTUGIESE IST DER BESTE LIEBHABER" ODER

MEIN CASANOVA IST BLAU

von Barbara Seuffert 

Die freien Wildbretschützen          [português]

Es ist Oktober. Die Weinernte ist vorbei. Die Feldarbeit ruht. Die Zeit der Hochzeiten und Romarias ist auch vorbei. In Césars Café ist so gut wie gar nichts los. Die Emigranten, die so viel Leben ins Dorf gebracht hatten und denen man sprachlos zuhörte, weil sie es so sichtbar weit gebracht haben: Zwei Autos fahren sie, und dann das neue große Haus hier und der ganze Komfort und die tolle Technik, alle Achtung! Aber tauschen wollen wir mit niemand, schon wegen des Heimwehs nicht, - sie sind nun alle abgereist. Da tut sich nichts mehr. Das Dorf versinkt im Schlaf.
Die Männer sitzen herum und träumen in ihr Mokkatäßchen hinein. Wenn das Schlachten angeht und die Wurst geräuchert wird, wenn die Schnapsbrennerei summt...
Du denkst, agua ardente ist Wasser, aber agua ardente ist kein Wasser, o nein. Agua ardente kommt aus der Schnapsbrennerei, und Wasser kommt vom Flüßchen.
Ja, wenn die alambique summt... Aber das ist noch lange hin. Jetzt ist es Oktober. Und in wenigen Tagen werden wir unseren Spaß haben, denn dann gehen wir Männer auf Jagd.
"Ich bin ein freier Wildbretschütz und hab ein weit Revier, soweit die braune Heide reicht, gehört das Jagen mir. Soweit die braune Heide reicht, gehört mir alle Pirsch, ob Fuchs, ob Has, ob Haselhuhn, ob Rehbock oder Hirsch."
Nun, was werden sie jagen? Wir haben hier noch nie einen Rehbock gesehen oder einen Hirsch. Und Wildschweine gibt's doch auch nicht? Also bleiben Fuchs und Has und Haselhuhn.
Ob die Männer so etwas erlegen?
Wahrscheinlich nur ein wildes Kaninchen oder einen Maulwurf oder vielleicht eine Feldratte. Ich sage vielleicht, weil die bestimmt schon weggerannt ist, wenn sie hört, daß die caçadores kommen, die Jäger aus dem Dorf. Die hört man nämlich von weitem, auch wenn man keine gewitzte Ratte ist, sondern eher ein verschlafener Maulwurf.
Die Männer haben also ihre Jagdgewehre genommen und Abschied von Weib und Kind, man weiß ja nie!, sie haben die Schrotflinten, die sie tagelang vorher geputzt haben, geschultert, sich noch einen genehmigt, denn im Oktober ist es schon kühl, das kann einem leicht auf den Darm schlagen, da beugt man lieber vor und trinkt ein bißchen agua ardente, Feuerwasser, dann kann man auch besser zielen, wenn das zahlreiche Wildbret vor einem auftaucht und geschossen werden will.
Sind sie nun alle versammelt? Nein, der Orlando fehlt noch, der bringt erst einmal seinen alten Hund nach Hause, das treue Tier verfolgt ihn ja auf Schritt und Tritt und ist doch gar nicht für die Jagd abgerichtet. Was heißt "abgerichtet"? Solche Begriffe sind ja nun völlig fehl am Platze, was soll denn das sein "für die Jagd abgerichtet"? Diese Vorstellungen und Maßstäbe lassen wir mal lieber mit Orlandos Hund daheim.
Vamos, auf geht's!
Achtzehn Männer mit Gewehren und vierunddreißig fröhlich und munter kläffende Hündlein gehen auf Jagd. Die Don Juans und Don Manuels und Don Fernandos lachen und werfen sich scherzhafte Bemerkungen zu, denn sie sind ganz aufgekratzt, endlich können sie wieder ballern. Im Wald hallt es auch so schön wider. Und seit Wochen haben sie nicht mehr schießen könnnen, es gab keinen Grund und Anlaß mehr, auch nur eine einzige fugheta abzuschießen, diese schönen fughetas, die der Ausdruck ihrer Männlichkeit und aller ihrer Freude sind.
Die Vorfreude auf alle die zu erwartenden Jagderlebnisse und die herrliche Knallerei macht ihre Augen glänzend und ihre Zunge locker. Sie necken einander: "Na, was meinst du, was du heute vor die Flinte kriegst? Bestimmt eine Wildsau, so wie du gebaut bist. Denk an voriges Jahr..." Und sie schütten sich aus vor Lachen, doch wir werden nie erfahren, was voriges Jahr passierte. Wir stellen uns vor, daß José vielleicht einem Treiber eine Ladung verpaßt hat, ganz aus Versehen, oder vielleicht schoß er daneben, aber neben was?, oder vielleicht ging sein Gewehr auch gar nicht los, als er endlich zum Einsatz kam...
Sicher war es ganz harmlos, unsere Phantasie ist viel blühender als die Wirklichkeit dieser rauhen Männer, die ohne Furcht in den Wald gehen.
Man hört sie lachend und lärmend über die Felder ziehen, eine Schulklasse auf einem Ausflug am Wandertag ist ein wohlerzogener Taubstummenverein dagegen. Und die Hündlein bellen dazu und übertrumpfen alles.
Und dann verschluckt sie der Wald.

Sollten wir jetzt uns jetzt nicht Sorgen machen, da doch die Gefahr ganz nahe ist und jeder der wackeren caçadores im finsteren Pinhal bedroht ist ? Was machen die Ehefrauen derweil? Beten sie? Machen sie Töpfe mit Wasser heiß, um das erlegte Wildbret zuzubereiten, wenn die Männer erfolgreich heimkehren? Heißes Wasser ist immer gut, denn wenn keine Beute nach Hause geschleppt wird, könnten die Kreuzzugritter wenigstens ein schönes erfrischendes Bad nehmen. Warten die Ehefrauen, am Hoftor stehend und ängstlich lauschend?
Ach, sie machen gar nichts. Also, jedenfalls nichts Besonderes, nicht mehr, als sie sonst auch tun würden. Sie reden und füttern das Vieh und holen den cove aus dem Garten, den unerläßlichen, die zarten Blättchen für die Suppe, die großen für Hühner und Kaninchen und den Rest für die Schweine, - und beginnen wie jeden Tag mit dem Essenkochen. Das ist eine Tätigkeit, die sie ganz ausfüllt.
Insgeheim sind sie vielleicht froh, daß der treusorgende Vater und gute Ehemann heute nicht im Haus ist, sondern da, wo er hingehört: unter seinesgleichen. Unter Männern muß er sein, wo er seinen Spaß hat.

Am späten Nachmittag kommen sie aus dem Wald zurück. Doch, hin und wieder haben wir einen Schuß gehört und manchmal den vielfältigen Widerhall. Die Männer brechen diesmal nicht mehr im großen Pulk aus dem Wald hervor, sondern gehen schon vorher auseinander und getrennte Wege.
Da, am Waldrand erscheint unser Nachbar Manuel.
Er kehrt glücklich wieder heim!
Seine Tochter, sein kleiner Enkelsohn, vier bellende Hunde, etwas langsamer die Ehefrau und schließlich wir laufen ihm entgegen. Der freie Wildbretschütz kommt heim von der Pirsch! Gesund und unbeschadet hat er den gefahrvollen Tag überstanden. Der Patronengürtel um seine Hüften ist sicher leer, die Flinte scheint schwarz von Schmauchspuren zu sein. Müde und erschöpft wird er sein nach so einem anstrengenden Tag!
Wir freuen uns mit den anderen und fragen, was er denn nun geschossen habe.
Er sagt: "Nada."
Nichts.
Aber wie er das sagt!
Denkt ja nicht, daß da ein geschlagener Mann aus dem Walde kam, ein Verlierer, ein erfolg- und glückloser Jäger ohne Beute, der sich schämen müßte. O nein, wer so denkt, versteht das portugiesische Waidwerk nicht.
Dieser Mann hat zwar nichts vorzuzeigen, also, rein hasen-, feldratten- oder maulswurfsmäßig, aber er ist ein ganzer Mann und ein tapferer obendrein.
Er hat einen wundervollen Tag im Wald verbracht mit seinesgleichen, von der guten Waldluft einmal ganz abgesehen. Er hat schön laut geschossen, so laut, daß sogar die Pinienzapfen herunterfielen. Er hat in der Pause so manchen kräftigen Schluck getrunken, und nun ist er wieder da.
Ist das etwa "nada"?

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