Das Frühlingsgedicht von Emanuel Geibel

Verfasst am: 12. Februar 2017 von Barbara Keine Kommentare

Das Frühlingsgedicht von Emanuel Geibel

Sie müssen wissen, dass wir im Krieg, auf der Flucht und als heimatlose Waisen ohne Bücher und Fernsehen und ohne kluge Gespräche mit klugen Leuten aufgewachsen sind. Aber wir hatten eine Mutter, die Hunderte von Liedern, Geschichten und Gedichten kannte. Damit hat sie uns getröstet, wenn wir Angst hatten, und ernährt, wenn wir Hunger hatten.
Immer wieder fallen mir diese Texte und Melodien ein. Manchmal fehlt der Anfang, manchmal fehlt eine Zeile, manchmal suche ich den Dichter, manchmal ist aber alle Googelei erfolglos.
Als jetzt der heftige Regen und die Schneestürme tobten und die politische Krise überall spürbar wurde, fiel es mir ein:
…Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll’ auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muss doch Frühling werden.

Halt! Von welchem Gedicht war das? Von wem stammt das?

Ich habe es nicht gleich alles zusammen gebracht, aber ich habe es gefunden: Das waren die naiven schönen Bilder aus einem 200 Jahre alten Gedicht, das meine Mutter auswendig aufsagte. Der Dichter Emanuel Geibel beschreibt das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings, er beschreibt damit auch das Ende der Zeiten und Jesu Wiederkunft. Begeistert und mitreißend spricht er vom „DENNOCH“ und „TROTZDEM“ in allen Nöten, Ängsten und Schwierigkeiten, in denen wir Menschen leben.
Der Winter mit seiner Kälte und Bedrohung wird wie ein böses Wesen geschildert, das uns mit Eiszapfen, Schneestürmen und Schneelawinen bedroht („ er dräut“). Die Sonne nennt Geibel schlafend, sie hat keinen Durchblick hat und ist total benebelt. Doch Nebel und Grauen, Angst und Bangen werden ein Ende haben, wenn der Frühling, der Lenz, „auf leisen Sohlen“ daher kommt. Zärtlich weckt er die Erde aus ihrem Dornröschenschlaf. Da öffnet die Sonne ihre Augen – der Himmel strahlt. Vor Freude und Wonne kann die grünende, wieder erwachte Erde kaum an sich halten. Lachend schmückt sie sich mit Blüten- und Erntekränzen und Blumen und weint vor Freude: Das Rieseln und Rauschen der Bäche sind ihre Freudentränen („Zähren“). Dieser jubelnde Sieg des neuen Lebens wird als „großer Maientag“ bezeichnet. Alles Toben der Naturgewalten, alle Stürme, alle Nebel, sind vertrieben und vergessen. Es herrschen einzig Freude und Fröhlichkeit bei der Neuwerdung von Himmel und Erde (2. Petrusbrief 3,13). Und auch wenn wir gegenwärtig die „Hölle auf Erden“ erleben müssen, ermutigt uns der Dichter dazu, von Herzen Gott zu vertrauen, weil ER uns den großen Maientag bringen wird.

Hoffnung

Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muss doch Frühling werden.

Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.

Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.

Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
Und möchte vor Lust vergehen.

Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
Und lässt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.

Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.

Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll’ auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muss doch Frühling werden.

(Emanuel Geibel 1815-1884, deutscher Lyriker)

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