Verwandlung

Verfasst am: 20. März 2016 von Barbara Keine Kommentare

Verwandlung
Ich wartete im weiträumigen Saal in der Neuro-Chirurgie. Also, – das war hier also die Endstation. Na gut, mach ich das auch noch mit. Wie lähmend. Es war insofern lähmend und langweilig, weil ich nicht wusste, worauf ich wartete: Hatte ich mich im Datum geirrt? Hatte ich die Terminvereinbarung missverstanden? Warum wurden alle anderen Patienten aufgerufen oder abgeholt, während ich immer noch saß und wartete und wartete? Alle anderen Patienten – Sehen die Patienten hier eigentlich anders aus als beim Onkologen oder beim Radiologen? Gibt es den typischen Krebspatienten, Nervenleidenden, Herzkranken? Prägt die Krankheit den Menschen, oder kann man alles vertuschen?
Und warum standen hier keine hoffnungsvollen Blumengestecke wie in anderen Abteilungen dieser hochgerühmten Klinik?
Alle Menschen, die neu hinzu kamen, ließen sich schwerfällig in die Sessel fallen, schlurften müde in die Sprechstunde, gingen (sogar lächelnd) wieder… Ein junges Mädchen mit einem großen Zeichenblock versuchte, seinen Mittagsschlaf zu halten. Zwei Damen kicherten. Ein Rentnerehepaar las in zerfledderten Groschenheften.

Plötzlich ging Inspektor Columbo durch den Wartesaal.
Ein bisschen älter, nachdenklich und gebeugt, ein bisschen müde und mit ziemlich verknautschtem Regenmantel. Ist schon ein toller Typ, dieser Krimikommissar. Aber dass der sich nun auch noch vordrängte und widerspruchslos Zugang verschaffte! Natürlich würde ich mich ihm keineswegs in den Weg stellen: Hallo, jetzt bin ich dran!!, sein vorgeschobenes Kinn verriet zu viel Entschlusskraft und Willensstärke, da geb ich besser schon vorher auf.

Gleich darauf wurde ich ins Sprechzimmer des Neurochirurgen gerufen.

Und wer saß mit energisch vorgeschobenem Kinn ohne Knitterregenmantel tatkräftig gespannt hinter dem Schreibtisch?
Inspektor Columbo.

Nein, überhaupt nicht! Das war nicht mehr dieser verknautschte Inspektor, ich hatte mich geirrt. Das war ein äußerst präziser, kompetenter Arzt, der mit knappen Zahlen und Fakten sein Therapiekonzept darlegte. Ich starrte völlig gebannt auf eine Reihe großer weißer Zähne – es mussten 62 im Oberkiefer sein, von den unteren ganz zu schweigen. Ich war hingerissen. Auch von dem überzeugenden Operationsvorschlag, der mir sowas von leicht und schlüssig zu sein schien.
„Okay, einverstanden, so machen wir es. Und wann?“
„Überlegen Sie es sich!“, strahlte er mit 62 Zähnen.
Und ich tappte etwas benommen auf den Flur hinaus. Dort, zwei Meter von dem Faszinosum der lachenden Zähne entfernt, mit der Türklinke in der Hand, begann ich zu überlegen und fragte kurz entschlossen zurück: „ Können Sie mich dann bitte morgen operieren?“
„Ja, wir werden es organisieren.“ 62 blendend weiße Zähne strahlten.

Am nächsten Tag wurde ich ins Krankenhaus gebracht, bekam ein Zimmer neben der Küche (diese Gerüche, dieses Besteckgeklirre, dieses Geklapper der Tellerberge auf den vorbeifahrenden Speisewagen!) und bereitete mich auf die OP vor, die am späten Nachmittag stattfinden sollte.

Ein Krankenpfleger schob mein Bett durch endlose Flure, in den Aufzug, labyrinthische Gänge entlang und stoppte schließlich vor dem OP-Saal. An meinem Bett stellten sich die Anaesthesistin und eine Krankenschwester vor. Am Fußende stand ein großer schlanker wunderschöner junger Mann mit einem blauen OP-Hemd und einer grünen OP- Mütze. Woher war denn diese Lichtgestalt gekommen?

„Gehören Sie auch zur Equipe meines Chirurgen?“ Ich war verwirrt.
„Ich bin der Chirurg!“ 62 Zähne lachten.
„Aber… aber… „

Ich hätte so gerne gesagt: „Das kann doch gar nicht sein. Sie sehen ja plötzlich so schön aus! Wie ist denn diese Verwandlung möglich?“
Doch ich brachte kein Wort hervor.

Und ich schwöre Ihnen, ich hatte noch keine Medikamente, noch keine Beruhigungstropfen oder Betäubungsmittel zu mir genommen! Ich war stocknüchtern und realistisch,
– aber vielleicht auch nicht.

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