Dabeisein ist alles!

Verfasst am: 6. Juni 2013 von Barbara 2 Kommentare

“Oh, when the saints go marching in”, schmetterte der Kirchenchor. “Oh, wenn die Kinder Gottes ins Himmelreich einziehen, dann, Herr, lass mich auch dabei sein”, sang ich laut mit. Ich singe seit vielen Jahren mit, im Alt. Ich stehe neben Olga, die sozusagen eine tragende Säule im Kirchenchor und in der Dorfgemeinde ist – eine Säule, weil sie fest auf beiden Beinen steht und weil man sich immer auf sie verlassen kann, eine tragende Säule, weil sie als Witwe und Mutter von acht Kindern ein schweres Schicksal zu tragen hat. Eine ihrer fünf Töchter ist seit der Geburt schwer körperlich und geistig behindert. Uns allen fällt das schon gar nicht mehr auf, weil wir alle mit der Magdalene groß geworden sind. Sie hat ihren festen Platz bei uns, sie gehört ganz einfach dazu. Nur wenn Fremde zu Besuch sind, fragen oder tuscheln sie manchmal, was denn mit dieser Frau los sei, die einerseits wie ein Schulkind aussieht und herumtapst, andererseits aber schon grauhaarig ist und doch ziemlich alt zu sein scheint.

Magdalene ist immer da, wo ihre Mutter Olga ist. Sie singt allerdings nicht mit, sondern sitzt hinten in der Bankreihe und hört zu. Aber wenn der Gottesdienst oder die Veranstaltungen beendetsind, kommt sie herbei gelaufen und umarmt ihre Mutter und gratuliert jedem und lacht. Sie streckt dem Chorleiter die Hand hin und lacht und geht herum und schüttelt jedem die Hand – nur mir nicht.

Ich weiß nicht, warum ich für sie nicht dazu gehöre. Ich fragte ihre Mutter, warum sie mir nicht gratuliert, wo ich doch auch so schön laut und überzeugt mitgesungen habe. Olga hat nur mit den Schultern gezuckt: So sei die Magdalene eben. Aber mich bekümmert das. Es macht traurig, wenn man nicht dazu gehört. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dabei zu sein, “wenn das Volk Gottes in den Himmel einzieht: “Oh Lord, how I want to be in that number!”

Ja, ich würde gerne dabei sein, wenn die Sterne (oder die Promistars?) zu funkeln beginnen, wenn das große Orchester zu spielen beginnt, wenn der Erzengel Gabriel das Horn erschallen lässt, wenn die Sonne ihren Glanz verliert, weil Jesus Christus viel herrlicher leuchtet. Ich möchte dabei sein, wenn sich alle um Gottes Thron versammeln und wenn der König aller Könige gekrönt wird. An dem Halleluja-Tag möchte ich dabei sein. Ich muss unbedingt dabei sein.
When the stars begin to shine, and when the band begins to play, when Gabriel blows in his horn, and when the sun refuse to shine, and when they gather round the throne, and when they crown Him King of Kings, on that Hallelujah-day, dann möchte ich dabei sein. Dann möchte ich von Herzen gerne in that number sein.
Aber ich werde jedes Mal ausgeschlossen. Magdalene zählte mich nie mit, sie ignorierte mich. Ich gehörte für sie nicht in that number. Ich habe Magdalene immer wieder angelächelt, um ihr Vertrauen einzuflößen. Sie sah das nicht. Wenn ich ihr und Olga während der Woche irgendwo begegnete, blieb ich stehen und plauderte ein wenig und erzählte etwas Lustiges, damit sie mich besser wiedererkennt. Aber schon bei der nächsten Begrüßung tat sie wieder ganz fremd und ging an mir vorbei. Sie “überging” mich einfach. Sie zeigte mir, dass ich nicht dazu gehöre.

Das hat mich tatsächlich sehr beunruhigt. Das Gefühl, nicht integriert zu sein, nicht dazu zu gehören, kann einem den ganzen Tag und die gute Laune verderben. Da konnte ich noch so schön neben Olga im Kirchenchor singen, dass ich zu den Jüngern gehöre und auf dem Weg der Nachfolge wie die anderen bin, dass ich mit dem ganzen Volk in Jerusalem einziehen und mit allen zusammen Gottes Lob anstimmen werde -, wenn Magdalene an mir vorbei ging und mich nicht anlachte und mich nicht begrüßte, war mein ganzer froher Mut dahin.

Was konnte ich nur machen?
Gerade Magdalene, die, obwohl sie doch “anders” war, so selbstverständlich zu uns gehörte und gar keine Probleme mit ihrem Anderssein hatte, die eigentlich nie um ihre Integration kämpfen musste, weil alle sie akzeptierten, gerade sie ließ mich so “abblitzen”, dass ich mir ausgestoßen vorkam.

Bei den vielfältigen Diskussionen über das Thema Integration und Inklusion, wie sie überall in Politik und Pädagogik abgehandelt werden, schleppte ich meine persönliche Magdalene-Problemgeschichte mit und fand keine Lösung.

Wieder gaben wir ein Sonntagskonzert.
Wieder bekam der Chor viel Applaus.
Wieder kam Magdalene von den letzten Bankreihen her angetrabt, streckte dem Chorleiter lachend die Hand entgegen und gratulierte ihm. Dann lief sie auf die Sänger, zuerst auf ihre Mutter zu, umarmte sie, schüttelte ihr die Hand –
- und so, jetzt bin ich dran!-
- da habe ich gar nicht gewartet, was sie macht, sondern streckte ihr einfach meine Hand entgegen, bevor sie sich besinnen konnte … und das Wunder geschah, Magdalene gratulierte mir und lachte mich an. What a Hallelujah-Day!

2 Antworten

  1. Oh, when the saints go marching in, dann möchte ich auch dabei sein! Eine wunderbare Geschichte!”Integration und Inklusion” beschäftigen immer wieder alle, die im Ausland leben und nicht von Anfang an “dazu gehören”. Aber doch, es kommt der Moment, wo alle zusammen “einmarschieren”, wo wir als Deutsche nicht mehr sofort, wenn wir die Mund in Portugal öffnen, mit “Madame” angesprochen werden (das hat schon aufgehört, obwohl es auf der anderen Seite sehr charmant klang)und wo die Menschen gar nicht mehr darauf achten, ob wir schon immer dazu gehörten oder nicht: sie achten uns einfach, wie wir sind, und beachten die Unterschiede nicht mehr. Ja, Gott sei Dank bin ich in vielen Gruppen völlig integriert in Portugal, und da ich vor vielen Jahren so darum gebeten habe : Oh Lord, how I want to be in that number!”, durfte ich damals, da jedes Gebet eine Antwort erhält, auch mit im Chor singen “Oh, when the saints go marching in”, unvergessliche Momente. Wenn es den Chor auch jetzt nicht mehr gibt, in der Gruppe des Chors bin ich weiterhin voll integriert und wir singen zusammen jetzt “andere Lieder”, aber schon heute “we gather round the throne” und fühlen uns als “um só rebanho para um só pastor”! Welch Reichtum das menschliche Zusammensein! “Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.” Guy de Maupassant Herzliche Grüsse Helga

  2. ….. Ha! Ha!…… kann ich, so integriert bei den Portugiesen, nun kein richtiges Deutsch mehr schreiben??? Aber so wie die Portugiesen es gar nicht mehr merken, wenn ich mal etwas nicht richtig sage, so schaut man auch darüber hinweg, wenn ein Portugiese das Deutsche nicht ganz richtig sagt. Da sieht es bei einer Deutschen schon anders aus, wenn sie etwas Falsches schreibt….. so verbessere ich es lieber sofort: Wenn wir den Mund in Portugal öffneten, sagten die Portugiesen sofort: Sim, Madame, o que deseja?…….

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