Der Flötist von Hamelin auf dem Weihnachtsbazar 2012

Verfasst am: 6. Januar 2013 von Barbara Keine Kommentare

Der Flötenspieler von Hamelin auf dem Weihnachtsbazar 2012

Seit jeher versuchen die Stadtväter, sich besonders in der Weihnachtszeit als Gönner und Wohltäter zu präsentieren. Vielleicht, weil die Ähnlichkeit dieser Gutmenschen mit dem Bischof Nikolaus und dem Weihnachtsmann in der milden lieben Adventszeit am besten deutlich wird.

Doch wir kennen diese durchschaubaren Rattenfängertricks, es geht ja nur um Stimmenfang, irgendwann sind schließlich wieder Neu-Wahlen.

Natürlich sind diese edlen weihnachtlichen Regungen auch in Portugal bekannt, selbst wenn “die Stadtväter” bei uns eine Bürgermeisterin (Presidente da Camara Municipal) und somit weiblich ist. Sie lud, wie es überall in der Welt gehandhabt wird, zur Weihnachtsfeier und zum Wohltätigkeitsbazar die städtischen Kindergärten und Schulklassen ein, die Bibliothek, die Wohlfahrtseinrichtungen, eben alle, die sozial engagiert sind oder unterstützt werden. Und zur feierlichen Untermalung und Kulturdarbietung lud sie den Orfeão de Vagos ein.

Der Festakt fand in der leer geräumten und blitzsauberen Markthalle statt, in der natürlich keine Bühne vorhanden war. Aber der hoch flexible Chor, der ABBA und Elvis und Zeca Afonso zu singen in jeder Lage ist, fand auch hier einen ungewöhnlichen Ausweg bzw. Platz und kletterte auf die marmornen Markttische, auf denen sonst Fisch angeboten wird. Da standen die wackeren Sänger und trotzten allen Widrigkeiten. Der Maestro überprüfte sein elektrisches Klavier und die Akustik, die Sänger überprüften den einzigen Zierat, den sie an ihrer schwarzen Kleidung trugen: ein rotes Tuch, mal um den Arm, mal um den Hals gebunden.

Die Halle füllte sich. Draußen schien die Sonne. Nichts Weihnachtliches (Leise rieselte kein Schnee und leuchtete kein OH,Tannenbaum) war da zu spüren und zu sehen außer den obligaten Plastik-Tannenzweigen und Nikolaus-Schmuckelementen. Vor den Stuhlreihen, auf denen ältere Herrschaften aus den sozialen Einrichtungen der Stadt saßen, hockten dreißig niedliche Kinder. Sie alle trugen ein weißes T-Shirt mit einem großen Herzen darauf, denn sie hatten zur Buchmesse ein Bilderbuch mit dem Titel “Mein Herz ist groß – ich hab dich lieb” herausgebracht, das jetzt feierlich vorgestellt wurde.

Zum Anheizen sollte nun der Chor singen. Er brachte auch sofort seine fetzigen Knüller zu Gehör. Der Funke sprang über. Die Geräuschkulisse der sich munter Unterhaltenden wurde vom Gesang übertönt. Die Kinder saßen derweil ganz artig und wohlerzogen auf dem Fußboden und lauschten.

Dann kamen die Schmuseklänge des Elvis-Songs, der Chor-Direktor verteilte Liebesbriefe, ich spannte meinen Sonnenschirm mit den Rüschen auf, das Liebespaar stieg von den Marmortischen herunter, umarmte sich und wandelte durch die Halle, auf die Kinder zu – und da passierte etwas Schönes, ja, ganz eigenartig, -

es war, als wenn in einem dunklen Raum plötzlich das Licht angeknipst wird, als wenn ein Sonnenstrahl die Welt erhellt und lebendig macht. Die Kinder schauten begeistert auf den fröhlichen Sonnenschirm und lachten, zeigten ihren Daumen hoch: “Gefällt mir!”, sprangen auf und folgten dem Liebespaar zur “Bühne” zurück, warteten gespannt auf den Schlussakkord und den Kuss und jubelten begeistert, klatschten Applaus und drängten sich beim Musiker am Instrument. Der – auf der Welle der Begeisterung – schlug noch mitreißendere Töne an und griff voller Rhythmus in die Tasten. Und die Kinder wiegten sich in den Hüften, drehten sich, tanzten mit flotten Tanzschritten Zumba, Salsa, machten kühne gekonnte Drehungen, … lauter kleine Superstars…

Der Maestro verließ sein Instrument und ging zu den tanzenden Kindern, während der Chor den Refrain summte, “Certainly, Lord!” wiederholte, lauter und leiser…

Der Rattenfänger von Santa Catarina war wieder da!

In seiner “wunderlichen” Jacke, mit seinen wunderbar leichten eleganten Bewegungen, mit rhythmischen Schritten, geduckt wie ein wachsames Tier, gebückt, um in Augenhöhe mit den Kindern zu sein, zog er swingend und pfeifend durch die Halle. Er pfiff den Kindern Töne vor, sie machten sie nach. Er flötete wie ein Vogel, die Kleinen in ihren Herz-Hemdchen flöteten genauso, er schwieg, sie schwiegen, er trillerte, sie trillerten – als habe sich ein Schwarm von Paradiesvögeln hier niedergelassen. Dabei umringten sie ihn, versuchten ihm die Hand zu geben, lachten und waren glücklich und übertrafen sich mit ihren Tänzen. Manche fassten sich auch an und tanzten gemeinsam im gleichen Schritt und liefen hinter dem Zauberer her:

“Der Rattenfänger von Hameln”,

da war er wieder.

Im Jahre 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen Rock von vielfarbigem, buntem Tuch an und gab sich für einen Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien.
Die Bürger sagten ihm diesen Lohn zu, und der Rattenfänger zog sein Pfeifchen heraus und pfiff. Da kamen alsbald die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es wäre keine zurückgeblieben, ging er aus der Stadt hinaus in die Weser; der ganze Haufen folgte ihm nach, stürzte ins Wasser und ertrank.
Als aber die Bürger sich von ihrer Plage befreit sahen, reute sie der versprochene Lohn, und sie verweigerten ihn dem Mann, so dass dieser verbittert wegging.
Am 26. Juni kehrte er jedoch zurück in Gestalt eines Jägers, erschrecklichen Angesichts, mit einem roten, wunderlichen Hut und ließ, während alle Welt in der Kirche versammelt war, seine Pfeife abermals in den Gassen ertönen.
Alsbald kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein vom vierten Jahre an in großer Anzahl gelaufen. Diese führte er, immer spielend, zum Ostertore hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand. Nur zwei Kinder kehrten zurück, weil sie sich verspätet hatten; von ihnen war aber das eine blind, so dass es den Ort nicht zeigen konnte, das andere stumm, so dass es nicht erzählen konnte. Ein Knäblein war umgekehrt, seinen Rock zu holen und so dem Unglück entgangen. Einige sagten, die Kinder seien in eine Höhle geführt worden und in Siebenbürgen wieder herausgekommen. Es waren ganze 130 Kinder verloren.

(Nach Brüder Grimm “Deutsche Sagen”)

In der portugiesischen Übersetzung heißt der wunderliche Mann “Der Flötist” und er “hypnotisiert” die Ratten und die Kinder:

O Flautista de Hamelin é um conto folclórico, reescrito pela primeira vez pelos Irmãos Grimm e que narra um desastre incomum acontecido na cidade de Hamelin, na Alemanha, em 26 de junho de 1284.

Em 1282, a cidade de Hamelin estava sofrendo com uma infestação de ratos. Um dia, chega à cidade um homem que reivindica ser um “caçador de ratos” dizendo ter a solução para o problema. Prometeram-lhe um bom pagamento em troca dos ratos – uma moeda pela cabeça de cada um. O homem aceitou o acordo, pegou uma flauta e hipnotizou os ratos, afogando-os no Rio Weser.
Apesar de obter sucesso, o povo da cidade abjurou a promessa feita e recusou-se a pagar o “caçador de ratos”, afirmando que ele não havia apresentado as cabeças. O homem deixou a cidade, mas retornou várias semanas depois e, enquanto os habitantes estavam na igreja, tocou novamente sua flauta, atraindo desta vez as crianças de Hamelin. Cento e trinta meninos e meninas seguiram-no para fora da cidade, onde foram enfeitiçados e trancados em uma caverna. Na cidade, só ficaram opulentos habitantes e repletos celeiros e bem cheias despensas, protegidas por sólidas muralhas e um imenso manto de silêncio e tristeza.
E foi isso que se sucedeu há muitos, muitos anos, na deserta e vazia cidade de Hamelin, onde, por mais que se procure, nunca se encontra nem um rato, nem uma criança.

Mas na versão original, que surgiu provavelmente na Idade Média, nos territórios que formariam a Alemanha, o final não é nada feliz. Após levar o calote, o flautista atrai as crianças para um rio onde elas morrem afogadas. Há várias teorias sobre o que o flautista de Hamelin simbolizaria nas narrativas orais antes de virar uma história para crianças. Para alguns, ele seria a representação de um serial killer, para outros uma metáfora para as epidemias que dizimavam populações, como a peste, e para muitos remetia ao processo de migração para colonizar outras regiões da Europa.

Nein, unsere Weihnachtsbazar-Geschichte 2012 endet ganz anders, denn unser “wunderlicher” charismatischer Musiker spielt nicht für Geld und ver- und entführt keine Kinder, er ist ein guter Rattenfänger -

er verstand es wie so oft schon, die Kinder zu begeistern, er zog sie an, er verzauberte sie, er weckte ihre Lebendigkeit, ihr Lachen, ihre Freude am Tanzen und an der Musik, er beschenkte sie und ließ sich und uns alle von ihnen beschenken, und er brachte die Kinder wieder zurück, zu ihren Kindergärtnerinnen und Mamas und Papas und Omas und Opas, die sie mit Freudentränen umarmten hatten und vor Glück lachten und weinten.

Ja, was war das für ein wunderbarer Weihnachtsbazar?

Was hat uns alle so froh gemacht?

Da war doch etwas mehr als nur die “betörenden” Flötentöne?

Diese besonderen betörenden Flötentöne hat der Musiker Norbert Rodenkirchen mit seiner “Hamelner Flötenmusik” aufgrund der historischen Erkenntnisse nachzuvollziehen versucht. Im Zentrum stehen dabei die alten Weisen vom Fürstenhof des Fürsten Wizlaw von Rügen sowie altslawische Tänze. “Seine Flöten strahlen wie außerirdische Lichtstrahlen.” (“His flutes shine like otherworldly beams of light.”) So schrieb darauf das Fachmagazin “Early Music America” im Sommer 2009.

Unsere Weihnachtsbazarmusik mit den Kindern leuchtete und wärmte und erfreute auch wie “außerirdische Lichtstrahlen”.
Aber es war noch ganz anders, noch viel schöner,

da war etwas, das man manchmal spürt, wenn ein charismatischer Lehrer oder Regisseur seine Schüler oder Mitspieler begeistert und in Flammen setzt, weil er selber brennt, weil seine selbstlose, liebevolle, gleichmütige, uneitle, kindliche Freude sich mitteilt, überspringt und mitreißt.

Ja, das war es vor allem, diese uneitle, selbstlose, kindliche Liebe und Daseinsfreude der Kinder und ihres “Flautista de Hamelin” auf dem Weihnachtsbazar.
DAS WAR WEIHNACHTEN!

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