Abschied von Dona Preciosa

Verfasst am: 20. November 2012 von Barbara Keine Kommentare

Abschied von Dona Preciosa

Am Montagmorgen klopfte jemand ans Hoftor. Ich hörte schon beim Hinlaufen und Öffnen, dass das unsere Nachbarin sein musste, die sich vor der Tür mit jemand unterhielt.

“Bom dia, mit wem sprichst du hier? Hier ist doch niemand”, fragte ich erstaunt.
“Ich rede mit Dona Preciosa”, sagte sie. “Ich rede mit ihrem Haus hier gegenüber, denn hier hat sie ja mal gewohnt, und nun ist sie gestorben und wird heute um 3 Uhr beerdigt, weißt du das nicht?, und ich rede nun mit ihrem Haus, denn sie war ja unsere Nachbarin, unsere Freundin Preciosa de Jesus.”

Wie man doch in einem Satz alle Emotionen und Informationen unterbringen kann.
Ich war überrascht, erstaunt, erschrocken, schuldbewusst (weil wir nichts davon wussten), traurig, schmerzlich berührt von den vielen Erinnerungen und gleichzeitig im selben Moment sachlich und praktisch beim Organisieren und Planen, wann wir den Trauerbesuch abstatten müssten, die Blumen bestellen, die Trauerfeier und den Gang zum Friedhof machen müssten.

“Wann ist sie gestorben? Gestern? Wir waren doch gestern in Porto. Ist sie schon in der Kirche aufgebahrt? Natürlich gehen wir mit, natürlich… Ach, die liebe Dona Preciosa…”

Und mir fielen die Berge von Häkeldeckchen ein, sie hatte gehäkelt und gehäkelt, sie hat ihren Ehemann und alle Kühlschränke und Möbel mit Schondeckchen behäkelt, mir fielen die leckeren kleinen frittierten Sardinchen ein, die Kuchen und Küchlein und Braten und Tomaten und Feuerlilien und Frangos und die schönen Sommerferien damals, vor 23 Jahren, und der Gesang von ihrem Ehemann João auf unseren Hof-Festen, und die teure weiße von ihr gehäkelte Bettdecke, die unser gesamtes Urlaubsgeld verschlang, und Helgas Lachausbruch beim Anblick einer gehäkelten Tortendecke mit 16 rosa Phalluselementen – und alle die Liebe und Zärtlichkeit dieser lieben alten Dona mit dem wunderschönen Namen Preciosa de Jesus, kostbares Schmuckstück des Herrn Jesus – ja, das war sie und was nach 97 Jahren ihres Lebens zu erzählen ist, ist Liebe, Güte und Freundlichkeit.

Meine Geschichte über Dona Preciosa heißt “Die guten Rabenmütter” in den Erzählungen “Der Portugiese ist…” und sie hat ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren.

Eigentlich hatten wir uns damals schon von ihr verabschiedet, als sie Witwe wurde und zu den Kindern ins Unterdorf zog. Ihr Haus wurde renoviert und verkauft. Schon damals war dieses Kapitel “Unsere Nachbarin, die liebe Dona Preciosa” abgeschlossen. Diese Ferientage in Portugal, als wir noch barfuß über die Straße gehen konnten, als alle noch so jung und fröhlich waren, als wir die Nachbarsleute mit ihrem Eselsgespann begrüßten – sie saß hinten auf dem zweirädrigen Karren und er kutschierte sie zum Arzt im Nachbarort, die Sonne lachte, das Eselein trabte anmutig, herrlich, unsere Sommerferien in Portugal…

Vorbei, längst vorbei…

Die Trauerfeier ist hier immer sehr unpersönlich. Der stellvertretende Geistliche hatte Mühe mit dem Namen der Magd des Herrn (a serva do Deus) und musste immer erst eine Pause machen und auf dem Zettel
nachschauen, bevor er Preciosa de Jesus erwähnte. Aber die Blumen in ihrer Schönheit und Fülle waren auch diesmal wieder ein Vorgeschmack des Paradieses, so viele Lilien und Rosen und Orchideen… Und die kleine alte Verstorbene lag in ihrem offenen Sarg und war in wunderbare schwarze Spitze gehüllt und war nun Ewigkeiten von uns allen entfernt.

Bei der Prozession von der Kirche zum Friedhof war das ganze Dorf beteiligt, die Glocken läuteten, die Kirchenvorsteher in lila Umhängen und die Standarten- und Fahnenträger schritten gemessen dahin. Und immer wieder sagte einer tröstend, um das Weinen zu unterdrücken: “So ist nun mal das Leben. –É vida.”

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