In der Alfama von Mira

Verfasst am: 20. Dezember 2011 von Barbara Keine Kommentare

Diese kleinen Badeorte am Atlantik wie Nazaré, Torreira und Mira sind bezaubernde Städtchen, aber ohne Touristen und ohne Sommer-Sonne-Ferienflair sind sie eigentlich kaum erwähnenswert. Liegen da wie ausgestorben, alle Lokale sind geschlossen, alle Schaufenster haben heruntergezogene Jalousien, alle Häuser scheinen leer zu stehen sind und außer ein paar Hunden bewegt sich nichts. Doch, genau in der Gasse, durch die wir uns quetschen wollten, stand ein Auto, das den Handwerkern gehörte, die eines der kleinen Häuschen renovierten, sogar mit Sägegeräusch und Bohrmaschine und Hammerschlägen. Da gibt es noch richtige alte halbverfallene Fischerhäuschen aus Holz, so wie früher, kleine Höfchen mit Hühnern und bellenden Hunden, die aussehen wie Frischlinge.
Was für eine Welt, diese engen Gassen, in denen es nach Urin riecht und wo immmer Wäsche flattert, obwohl die Leute alle Kanalisation und Waschmaschinen und Trockner haben. Aber Wäsche waschen mit Lixivia – das kann man einer Portugiesin nicht so leicht ausreden, das macht sie halt so wie immer.
Ich war noch nie in den alten Gassen.dieser kleinen Stadt. Wie mich das alles an die Altstadt von Lisboa erinnerte, und welch Glück, dass es das noch gibt! Hier bei uns im Dorf haben sich die Leute, meistens nur ein altes Ehepaar, also 2 Personen, irgendwie total isoliert und wahnsinnig große Häuser gebaut mit überdachten Höfen, in denen 200 Personen Platz finden könnten, wenn mal einer auf die Idee käme, einen Ballabend, einen Vortragsabend oder eine Chorfeier zu gestalten. Aber das macht hier eh keiner, weil das ja Arbeit und Staub verursacht. Wie schade und wie einsam macht dieses spießige Denken.
Ich tauchte also ein wie in die Vergangenheit, nein, wie in einen Film oder Roman über die Alfama Lissabons. Diese schmalbrüstigen Häuschen, diese Blumentöpfe, diese verschlossenen Türen und zugeklappten Fensterläden, der Geruch von Katzen und Wäschelauge…
Die Freunde, die wir besuchen wollten, waren überrascht und erfreut, machten unfassbar schöne Komplimente (“höflich bis Unehrlichkeit”) und ließen uns in beijinhos und abraços ertrinken. Eine steile Treppe führte in das winzige Zimmerchen im 1. Stock mit nur einem Fenster, das die Breite der Vorderfront des Hauses einnahm. Das Zimmerchen war voll gestopft mit Möbeln und Blumentöpfen, es war unbeheizt wie alle Häuser hier, eine wunderschöne Katze machte uns ladylike Platz auf dem Sofa. Und da saßen wir und balancierten eine Tasse Tee auf den Knien und redeten ununterbrochen miteinander und betrachteten Fotos von früher und von den Verwandten mit den so wunderschönen portugiesischen Gesichtern und schwarzen Augen und herrlichen schwarzen Haaren und hörten die Geschichten über diesen und jenen, lasen uns Gedichte vor und streichelten die Katze. Und dann kam plötzlich von draußen der Duft gebratener Sardinen herein, es war Mittag, und dann riecht es so, wie es in Portugal immer riecht,wie es in der Alfama immer roch, wie es früher immer roch, wovon wir vor saudade ganz krank werden: gebratene Sardinen.

Ich habe einige Stunden gebraucht, um aus dieser Welt wieder aufzutauchen. Dabei fiel mir die alte Geschichte ein, die ich mal gelesen habe:

Eine alte Indianerin pflegte ihren spanischen Nachbarn stets ein paar Rebhuhneier oder ein Handvoll Waldbeeren zu bringen. Die Nachbarn sprachen kein Araukanisch mit Ausnahme des begrüßenden „Mai-Mai!“ und die alte Indianerin konnte kein Spanisch, doch sie genoss Tee und Kuchen mit anerkennendem Lächeln. Die Nachbarskinder bestaunten ihre farbigen Umhänge, von denen sie mehrere übereinander trug, ihre kupfernen Armbänder und ihre Halsketten aus Silbermünzen.
Sie wetteiferten darum, den melodischen Satz zu behalten, den die Frau jedes Mal zum Abschied sagte. Schließlich konnten sie ihn auswendig, und sie fragten einen anderen Indianer, der zugleich spanisch sprach, was er bedeute.

„Er bedeutet“, antwortete dieser, „ich werde wiederkommen; denn ich liebe mich, wenn ich bei euch bin.“

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