O pecado de J. Agonia

Verfasst am: 15. November 2011 von Barbara Keine Kommentare

Die Sünde des João Agonia

“O pecado de João Agonia” von Bernardo Santareno

Neben der einfühlsamen Rezension von Professora Rosinda im Jornal da Bairrada (10.11.2011) stand eine Einladung des Laienspieltheaters von Mortágua. Die Aufführung sollte am Samstagabend, dem 12.11.2011 im neuen Rathaus der Stadt Oiã stattfinden. Wir fuhren also durchs nächtlich schlafende Portugal dorthin. In Oiã trafen wir sogar einen einsamen Spaziergänger mit Hund, der uns erklären konnte, wo das bemerkenswerte Gebäude steht. Also, in der Hauptstraße im Kreisel rechts ab und dann zweimal links.

Das Gebäude
war hell erleuchtet und ist atemberaubend groß und modern. Es scheint gerade erst eingeweiht zu sein. Man wandelte über gepflegten Rasen, unter Kolonnaden mit wedelnden Palmen entlang, durch ein riesiges Foyer, wo man noch eine der wenigen Eintrittskarten für 2,- Euro erwerben konnte, und stieg zum Auditorium eine gläserne Wendeltreppe hinauf. Das Auditorium ist eine riesige Aula mit mehr als 600 Plätzen, einer großen Bühne und allen nur denkbaren technischen Möglichkeiten.

Das Publikum
strömte und strömte. Ganze Familien mit Oma und Opa, mit Kindern und schlummernden Säuglingen auf dem Arm füllten den Saal. Alle redeten fröhlich und erwartungsvoll durcheinander, junge Mädchen stöckelten aufreizend hin und her, Familienväter folgten demütig ihrer Truppe mit gesenkten Köpfen. Aber wir waren die Ersten! (eine halbe Stunde zu früh) und platzierten uns genau gegenüber der Bühne, natürlich respektvoll in der zweiten Reihe (“in der zweiten sieht man besser!”), denn außerdem nimmt in der ersten Reihe der Bürgermeister von Oliveira nebst Gattin Platz und ebenfalls der Bürgermeister von Oiá nebst Gemahlin. Wir wissen doch, was sich gehört, – Ehre, wem Ehre gebührt.

Beginn der Vorstellung
sollte um 9.00 Uhr sein. Die Herren Bürgermeister erschienen 9.15 Uhr, die meisten Besucher folgten mit gebührendem Abstand, aber immerhin waren um 9.45 Uhr alle versammelt. Bis dahin hatte man sich an den Filmbeiträgen (Beamer) und bei ohrenbetäubender Karnevalsmusik vom Karneval in Oiã erfreuen können. Es war sehr erleichternd, als es dunkel wurde, die Musik aufhörte und der Vorhang sich öffnete.

Die Bühne
zeigte eine typische portugiesische Bauernstube mit einem flackernden Kaminfeuer in der Ecke. Das Bühnenbild veränderte sich während der Aufführung nicht.

Die Schauspieler
waren Amateure, die aber schon oft mit Preisen ausgezeichnet worden sind. Ich war wirklich überrascht von ihrer guten Aussprache, von Gestik und Mimik, die keineswegs laienhaft waren. Außerdem vermittelten sie den Eindruck, dass sie ganz “echt” waren (sich selber spielten). Die Geschichte passte so genau hier ins dörfliche Hinterland und zu den Menschen und ihrer Denkweise. Das Publikum war völlig gebannt und mittendrin, die Zuschauer lebten und fühlten mit, weil das “ihre” Welt war.
Die meiste Sympathie galt der Großmutter, die (wie Oma Luz damals) am Kamin saß, eingehüllt in schwarze Tücher, mit Hut und Kopftuch, schwarzen Pantöffelchen und mit einem Gehstock, und die eigentlich gar nichts zu sagen hatte. Trotzdem war sie der Mittelpunkt des Stückes.
Was die Alte aus ihrer Rolle machte! Wie ihr die Herzen zuflogen!
Sie räusperte sich, spuckte ins Feuer, betete den Rosenkranz, stampfte mit ihrem Stock auf, stieß ihren Kaffeepott um, putzte sich geräuschvoll die Nase, knotete ihr Kopftuch, schlug ein Kreuz, murmelte vor sich hin, und während in der Eingangsszene die Spieler durch ihre Gespräche in die Handlung einführten, hatte sie schon das Publikum erobert.
„Olha a velha!”, “Guckt euch die Alte an!”, flüsterte es in den Reihen. Man lachte und amüsierte sich, allerdings nicht spöttisch-abwertend über sie, sondern mit viel Verständnis und Wiedererkennen, und ich dachte, sie ist wirklich wie Oma Luz. Schwarz gekleidet, klein, pummelig und mit dieser seltsamen Mischung von Demenz und Weisheit ausgestattet. Sie war es, die ein paar humorvolle Akzente in dieses Stück setzte, dessen Problematik recht beklemmend war. Zum Beispiel, als sie zur Waschschüssel schlurfte und aus der Emailleschüssel trank. Dieses Benehmen der Alten war allen so bekannt und vertraut und deshalb etwas entspannend, denn man ahnte bald, wie die ganze Geschichte laufen und enden würde. Einmal sprang sie auf und stürzte sich auf João, ihren erwachsenen Enkel, sah ihn lange an und kreischte dann: „Du hast grüne Augen, grüne Augen, grüne Augen – olhos verdes, olhos verdes – das ist vom Teufel!“
Noch bevor jemand aussprechen konnte oder genau wusste, was denn nun die „Sünde des João Agonia“ war, hatte sie das mit ihrem „Grüne-Augen-Schrei“ erklärt und das Todesurteil gesprochen.

Die Geschichte
behandelt das Thema Homosexualität und spielt in einem kleinen primitiven portugiesischen Dorf in den Bergen zur Zeit Salazars (1961). In der Familie Agonia wünscht man, dass der Sohn João die Tochter Maria Giesta aus der Nachbarfamilie heiratet. Aber diese aufdringlichen Kuppelversuche und die grobschlächtigen Reden stoßen João sehr ab. Er fühlt sich zu dem jüngeren Bruder von Maria hingezogen, der in scheuer Zurückhaltung seine Gefühle erwidert. Einmal, als João die Hand des hübschen Jungen ergreift, versinkt die übrige Bühne im Dunkel und nur die beiden jungen Männer sind in rotes Licht getaucht. Dazu spielt eine schwermütige Melodie.
Nachdem allen Familienangehörigen langsam klar wird, dass João nur diesen Jüngling lieben kann, beschließen die Männer, die Ehre der Familie zu retten und ihn zu töten.
In der letzten Szene tanzt Joao mit dem aus Holz geschnitzten Kopf des Jungen, den er in ein weißes Tuch gewickelt hat. Der weiße Schleier weht um ihn herum.
Die alten Leute hinter mir sagten laut, als sie die Symbolik erkannten: „Jetzt tanzt er mit seiner Braut.“
Bei diesem Hochzeitstanz schleichen drei Männer (Vater, Bruder und Onkel) mit ihren Flinten durch den Zuschauerraum (aus unseren Reihen!) und erschießen den jungen Mann. –

Als João tot ist, kommen die Mutter und die Frauen des Dorfes und beweinen ihn, so wie sie das von anrührenden Karfreitagsbildern gewöhnt sind.

Schlussapplaus
Bei offenem Vorhang blieben alle Schauspieler auf der Bühne. Der Tote erhob sich und das Publikum applaudierte wie bei der Auferstehung. Danach wurden im Kreise des Ensemble festliche Lobreden gehalten vom Regisseur, vom Bürgermeister aus Oia und vom Bürgermeister aus Oliveira. Alle gratulierten sich, küssten sich und umarmten sich. Ich staunte.
Die kleinen schlafenden Kinder wurden geweckt und nach Hause getragen.

FIM

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