Wie lange dauert ein cafezinho?

Heute Morgen fuhren wir wieder über die Dörfer zur Privatklinik -  nach einer Woche, in der wir die Ratschläge der jungen Ärztin beherzigt, die Tabletten nach Vorschrift eingenommen, die Beine massiert und die Blutanalyse im Labor in Aveiro durchgeführt hatten. Wir wollten ihr berichten, sie wegen weiterer Schritte um Rat fragen, ihr auch ein ehrliches Lob spenden und ein Geschenk überreichen. Sie hatte uns wissen lassen, dass sie um 10 Uhr Sprechstunde habe.
Als wir uns kurz vorher bei der Rezeption anmeldeten, sagte die Sekretärin, die Doutora sei gerade einen Kaffee trinken gegangen, tomar um cafezinho.
Na gut, das gönnt man so einer energischen, tüchtigen, reich beringten, kettenbehangenen und mit Schmuck überhäuften jungen Frau ja gerne. Ich setzte mich in den Durchgangsraum und lagerte mein Bein hoch und wartete.
Aber wie lange dauert denn so ein cafezinho in der gegenüber liegenden Pastelaria, 1 Minute über die Straße entfernt?
Nach ½ Stunde fragte ich die Sekretärin: "Wieviele Stunden dauert hier ein cafezinho?" (Das sollte ein Scherz sein.)
Aber die Angestellte meinte ganz ernsthaft: "Sie sind gleich an der Reihe, Senhora, die Doutara kommt sofort."
Nach 10 Minuten ging sie selber mal in das Café hinüber und kam auch bald wieder, schaute mich so gleichgültig wie möglich an und hatte auch keinerlei Entschuldigung oder Erklärung, doch dachte ich, dass sie so aussah, als habe sie einen Tadel bekommen, vielleicht so: "Stören Sie mich gefälligst nicht, darf man denn hier nicht mal seinen cafézinho trinken? Die Patientin soll gefälligst warten."
Bestimmt hatte die Ärztin "gefälligst" gesagt. Die jungen Ärzte sind hier wirklich manchmal sehr anmaßend, eingebildet, herablassend und impertinent. Ich habe das in den Monaten während der Chemotherapie reichlich genossen, während ich bis 4 Stunden da herumsitzen und auf die 2 Minuten ärztliche consulta (2 Fragen ohne Antwort – Wie geht’s, alles in Ordnung? und 2 Kurzsätze – Gehen Sie in die Tagesklinik, Auf Wiedersehen.) warten musste und beobachtete, wie die Krankenschwestern und Büroangestellten gescheucht wurden.
Nach 45 Minuten gab ich mein Geschenk ab, bestellte schöne Grüße und fuhr nach Hause, weil mir mein Bein wehtat.

Nun wäre das ja ein schöner Schluss, wenn ich den letzten Satz so beendete:  … fuhr nach Hause und kochte mir einen anständigen starken Kaffee und setzte mich damit 5 Stunden in den blühenden Garten.  – oder noch schöner: "Zu Hause angekommen, klingelte das Telefon" (mein absoluter Lieblingssatz), die Ärztin rief an, entschuldigte sich, ein Notfall und so, bedankte sich für mein Geschenk und lud mich zu einem cafézinho ein.

Nee, alles das passierte nicht, und Dra. Anabela sitzt sicher noch bei ihrem cafezinho. Schließlich verbringen die Männer in Césars Café auch die ganze Nacht bei einem einzigen Tässchen Kaffee (sagen sie).