Mignon

Verfasst am: 25. Januar 2010 von Barbara 1 Kommentar

Mignon

In meinem Portugiesischen Tagebuch habe ich am 22. Oktober geschrieben, dass ich einige wunderschöne Liebesgeschichten kenne, in denen ein Deutscher aus Liebe zu einer Portugiesin in diesem schönen Land geblieben ist. Auch die umgekehrte Variante gibt es: Eine deutsche Frau verliebt sich in einen Portugiesen und lebt in seiner Heimat.
Ich finde (immer noch), diese Menschen haben es leicht. Sie können auf die Frage: "Warum lieben Sie Portugal?" einfach antworten: "Wegen meiner Frau." Oder sie sagen: "Ich bin mit einem Portugiesen verheiratet."
Ich dagegen – so schrieb ich damals – habe schon mehrere Bücher und einen Gedichtband über Portugal geschrieben und kann diese Frage noch immer nicht ausreichend und erschöpfend beantworten. Ich muss viel erzählen und von Mal zu Mal mehr hinzufügen, um zu sagen, warum ich gerne hier lebe.

Und nun fragten wir also Steven, einen Engländer, den wir zum Tee eingeladen hatten, wie er nach Portugal gekommen ist und warum er hier lebt. Steven arbeitet in der Buchhandlung bei der Universität.  Er war uns schon immer aufgefallen. Nicht weil er so groß und mager ist und irgendwie "typisch englisch" aussieht, sondern weil er so höflich, freundlich und korrekt die Kunden bedient. Wir plauderten ein wenig und hätten das Gespräch gerne fortgesetzt, deshalb lud Hagen ihn und seine Frau ein. Er ist mit einer Portugiesin verheiratet, das wussten wir.

Ich hatte also eine Portugiesin erwartet: schwarzhaarig, schlank, zierlich, tüchtig. Aber dann war ich doch sehr überrascht, denn die Senhora Diolinda war noch schwärzer, schlanker und zierlicher, sie wirkte trotz ihres Alters wie ein Kind. Sie hat sehr kleine Füße und Kinderhände mit schönen Ringen und ein Gesichtchen, in dem mir die vielen schwarzen Sommersprossen wie dunkle Sterne auf der dunklen Haut erschienen. Sie bewegte sich eigenartig, traumtänzerisch und unsicher, zog frierend die Schultern hoch und die Wolljacke über der Brust zusammen und sprach langsam und mit großer Ernsthaftigkeit und großem Nachdruck. Über ihre schwarzen Haare hatte sie einen Hut gezogen, den sie auch später nicht abnahm und dessen Krempe das Gesicht überschattete.
Aber die Augen!
Sie rollte sie hin und her, erzählte ganze Tragödien mit diesen Augen. Und ich dachte, sie könnte bestimmt wie eine Orientalin hinter ihrem Schleier mit diesen Augen alles sagen. Ob sie wohl vom Theater kommt?
Die Erscheinung dieser Kindfrau, die leuchtenden Orangen draußen im Garten vor dem Fenster und die Vorstellung von einem Schauspielerdasein hier in Portugal, dem Land, wo die Zitronen blühn… Da hatte mein Eindruck plötzlich einen Namen:
Das ist Mignon!
Mignon begegnet Wilhelm Meister.
Mignon tanzt ihren Eier-Tanz.
Mignon singt das Lied:

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin!
Möcht\’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

Mignon klammert sich an ihren Retter Wilhelm, der Steven heißt…
Mignon lernt schreiben und malt mit großer Mühe Buchstaben um Buchstaben.

Die Diolinda-Mignon holte aus ihrem Rucksack ein dickes Heft, in das sie seit ihrer Kindheit Gedichte schreibt. Mit einer seltsam runden Schrift, die wie kyrillisch aussah und die sich in dem ganzen Buch nicht veränderte. Sie las unaufgefordert einige Sätze vor. Gedichte über den Wind, über die Liebe zu ihrem Vater, über den Regen und das Blatt, das der Wind fort trägt… Pessoa…Tristeza… Datum 1971.
Damals studierte sie in London und drehte sich eines Tages um, weil hinter ihr jemand war, und fiel in Stevens blaue Augen. "Sie waren so blau."

So ein ungleiches Paar: Sie trank aus einem zierlichen Tässchen ein wenig Tee und aß dazu einen Keks, den sie umständlich aus dem Goldpapier hervor holte.
Er trank mehrere große Töpfe (Häfele, sagen die Schwaben) Milch mit Tee und Zucker und die Biskuits dazu.

Und wir redeten in einem Mischmasch aus Englisch und Portugiesisch – Portunglisch vielleicht. Ich hatte mich nicht geirrt: Sie stammt wirklich aus einer Schauspielerfamilie und ist auf der Bühne geboren, damals, als es in Portugal noch kein Fernsehen gab und die Gaukler mit ihrem Thespiskarren von Ort zu Ort zogen, ihre Bühne auf dem Marktplatz aufbauten und ihre Theaterstücke spielten. Das kleine Mädchen lief hübsch aufgeputzt zwischen den Großen und dem Publikum herum und bekam den meisten Applaus, bekam Küsschen und Blumen und Geschenke und Geld. Tatsächlich: Mignon!

Ich war völlig verzaubert, dachte mich in Goethes Roman hinein und  habe total die Zeit und die Wirklichkeit vergessen. Es kann aber auch an dem Tee, den Kerzen und dem Rauch der selbst gedrehten Zigaretten von Mignon gelegen haben, ich glaube, sie rauchte einen Joint. Aber ich weiß es nicht genau.

Eine Antwort

  1. B. schreibt:

    Jetzt weiss ich es genau. nachdem wir mit den beiden kindsköppen noch einen joint geraucht haben, hat ethikpapst hagen die beiden islandmonkeys mit seinem missionarischem geschwätz in trance gequasselt und sie somit für unser nächstes, schwachsinniges krippenspiel als ochs und esel verdammt !

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