Weihnachtseinkaufe mit Maria

Verfasst am: 18. Dezember 2008 von Barbara Keine Kommentare

Weihnachtseinkäufe mit Maria

"Also, morgen hole ich das Buch von der Druckerei", verkündete Hagen beim gemeinsamen Mittagessen. Es gab gegrillten Bacalhau mit viel Öl und vielen Zwiebelringen und "Batatas a murro" aus dem offenen Feuer, das sind Pellkartoffeln, die man dann mit der Hand zerquetscht, ich glaube, übersetzt heißt das Faustschlag-Kartoffeln. Jedenfalls ist das ein Lieblingsgericht der Leute vom Lande und alle sind sehr glücklich und zufrieden dabei.

"Gut, ich fahre mit, denn ich brauche noch ein bisschen Stoff für die Engelsgewänder", meinte ich.
Ja, und sie müsse auch unbedingt mitfahren, denn sie brauche noch so viel für Weihnachten, und das alles gebe es ja nur in der Stadt, nein, hier aus dem Dorfladen kaufe sie nichts, da gebe es Mäuse. Widersprechen hat gar keinen Zweck. Sie hat zwar noch nie eine Maus im Laden gesehen und wer weiß schon, ob es in der Stadt und in den Lagern so nah am Kanal nicht auch Wasserratten gibt. Nein, sie müsse unbedingt und nur dort etwas einkaufen, nämlich Olivenöl, das gute, weißt du, das ist da und da besonders billig, und dann Obst in einem neu eröffneten Laden, und dann das Toastbrot, nein, das ist ein Baguette, ein ganz bestimmtes in einer ganz bestimmten Bäckerei, nicht etwa irgendeins, sondern nur das besondere für die gebackenen Weißbrotscheiben, die Rabanadas, die man am Heiligabend isst, die müssen sein, Rabanadas, weißt du, die müssen vorher  in Wein und Milch und Eier, Zimt, Zitrone und Öl eingelegt werden… und dann folgt das Rezept: "Mach es so wie ich, also, die Milch kochen und dann Zucker und Zitronenschale zufügen, die Scheiben des Weißbrotes schneiden und in dem gequirlten Ei wälzen und braten – auf beiden Seiten, (sie macht es vor, falls ich nicht weiß, wo eine Brotscheibe ihre zwei Seiten hat), dann auf einen Teller mit saugfähigem Papier legen und mit Zucker und Zimt bestreuen. Aber lass es lieber sein, denn ich mache das an Heiligabend sowieso ganz frisch, meine Rabanadas schmecken sehr gut, hat der Doktor auch gesagt…."
Wir nicken ergeben. Hagen kürzt die weiteren Ausführungen ab und sagt: "Also, ich fahre um 11 Uhr los".
"Nein, das ist viel zu spät, dann schaffen wir gar nichts, ich muss in den Laden und in den, den und in den, und zum Mittagessen müssen wir wieder daheim sein!"
"Gut, dann fahren wir um 10 Uhr los."
"Ja gut, aber wenn du um 9.30 fährst, dann wäre es noch besser."

Wir fuhren um 9.30 Uhr los.
Während der Fahrt entwickelte der Mann am Steuer sein logistisches Programm: "Also, zuerst bringe ich Maria zum Supermarkt in der Avenida, dann setze ich Barbara beim Stoffgeschäft ab, dann fahre ich zur Druckerei, und wir treffen uns hier an der Ecke bei der Hauptpost, combinado?"
"Nein, das geht so nicht. Halt mal hier an, ich steige hier mal aus und gehe zu Fuß, und Barbara kommt gleich mit, das Stoffgeschäft liegt da oben an der Straße!"
"Nein, es ist da unten", protestierten wir.
Sie zerrte mich am Arm aus dem Auto, hakte mich energisch ein (bitte abführen!, heißt es im Krimi) und schoss die Straße hoch. Mich hatte sie mit dem linken Arm am Schlafittchen, am anderen hing ihre Handtasche als einsatzbereite Kampfwaffe, die sie gegebenenfalls  jedem Angreifer um die Ohren hauen würde: Wir haben ein Foto, wo sie mordlüstern neben Niko steht und diese ihre Absicht fein dokumentiert.

So schossen wir also mehrmals die sonnenbeschienene Avenida hinauf und hinunter, hin und her, mal hüben und mal drüben, weil da doch nicht das Stoffgeschäft war, sondern weiter unten, das dem Cousin ihrer Cousine aus Coimbra gehört und wo man alles fast umsonst kriegt, das Geld muss doch in der Verwandtschaft bleiben. Wir fanden den verstaubten alten ungeheizten Laden wirklich noch. Hinter einem großen Ladentisch standen zwei sehr alte Herren und spielten Karten zum Zeitvertreib, die Stoffe lagen in Packpapier eingewickelt und verschnürt in den Regalen. Hier war die Zeit stehen geblieben, vielleicht auch eingefroren, es war so eiskalt, dass man seinen Atem sah.
Ich fand aber nicht das, was ich suchte. Also weiter. Dieses Gerenne kam mir so unorganisiert vor wie das Herumlaufen der Hühner auf dem Bauernhof.
Futsch war die ganze Logistik,
zerplatzt das ganze Programm.

Einmal schoss sie ohne Vorankündigung in einen Laden hinein und ich nutzte die Gelegenheit, diesem fremdbestimmten Treiben ein Ende zu machen und witschte schnell alleine in eine Drogerie, um noch Weihrauch und Kohletabletten für meinen Heiligen Dreikönig zu kaufen. Ich wunderte mich nicht wenig, als sie strahlend zur anderen Türe hereinkam und fragte, was ich gekauft habe: "Was, Weihrauch? Das brauche ich auch!",  und kaufte Incenso, dabei habe ich bei ihr noch nie einen Heiligen Dreikönig gesehen, zum Krippenspiel kommt sie eh nicht, schon seit Jahren nicht.

Interessant war aber die Entdeckung eines Kurzwarenladens, nachdem ich überall herumgefragt hatte, wo bekomme ich denn Schrägstreifen und Saumband. Erkläre das mal in gestottertem Portugiesisch einer Senhora, die noch nie genäht hat. Schließlich meinte eine Verkäuferin, so etwas erhält man hier in der …unverständlichen…scheria. Hä? Wie heißt das?

Und dann kam mir die beschwingt herumrennende Henne Maria doch zu Hilfe: "Das ist eine Retrosaria, ich weiß, wo die ist. Komm mal mit." Wir rannten einen Kilometer durch die Straßen und Nebenstraßen, immer eingehakt, damit ich nicht weglaufe (und noch Myrrhen und Gold suche?).

Diese Retrosaria ist ein herrlicher alter Laden, in dem es lauter herrliche kleine Dinge gibt: Bänder und Schleifen, Paspel und Litze und Bordüren und Knöpfe und Garne und Spitzen und Troddeln. Zwei liebenswürdige alte Damen berieten und maßen ab und rechneten die Preise in wenigen Cent aus.

Wegen dieses Ladens verzieh ich Maria alles, und latschte auch noch mit – wieder zurück – in die Avenida, wo sie eine Flasche Öl kaufte, die allerdings – o großes Unglück – einen Cent teurer war als die vorher entdeckte.
Inzwischen hatte sich unser Autofahrer dazugesellt und nahm sogar Anteil an Marias Einkäufen und Kommentaren. Jetzt war es halb eins und Mittagspause.
Ich saß ganz erledigt, umgeben von Plastiktüten, auf der Mauer an der Ria – allerdings in der warmen Sonne – und wartete auf sie, die noch mal schnell dies und jenes besorgen musste… Da kam sie ganz wütend aus einer Nebenstraße gewetzt und bog um die Ecke und sagte, die Läden – ihre ganz bestimmten traditionellen mit den traditionellen Zutaten für Weihnachten – hätten schon Mittagspause und seien geschlossen und wir sollten alleine mit ihren Einkäufen nach Hause fahren und sie nimmt 3 Stunden später den Bus. Ihr Mann isst sowieso heute beim Doutor, wo er im Weinberg die Reben schneidet.
Es könnte ja sein, sie hatte das von vorneherein so geplant, dass sie uns ihr Wahnsinns-Gepäck ins Auto lädt und dann den ganzen Nachmittag allein nur mit ihrer Handtasche herumspaziert. Aber vielleicht ist sie ja auch gar nicht so berechnend, nur schrecklich unlogisch und unorganisiert, eben typisch portugiesisch. Und ihr Weihnachtsglück sieht anders aus als unseres. "Als ich Christtagsfreude holen ging", das ist für eine portugiesische Maria wahrscheinlich der Marathonlauf im Zickzack und Rauf-und-Runter durch die Avenida.

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