Allerseelen 2008

Verfasst am: 23. November 2008 von Barbara 2 Kommentare

Allerseelen 2008

Vierzehn Tage nach Allerheiligen und Allerseelen findet hier im Dorf der Gedenktag für die Verstorbenen statt: "Os fieis".

Ich habe diesen Tag zum ersten Mal miterlebt, weil wir sonst in der Vorweihnachtszeit "immer" (!) in Deutschland waren. Aber da die Leute uns erklärt haben, wir müssten länger bei ihnen im Dorf bleiben, denn sie würden das Krippenspiel nur spielen, wenn wir nicht "immer in Alemanha" sind.

Es war ein ganz milder sonniger Spätherbsttag. Nachmittags um 3 Uhr versammelten wir uns zur Messe, die der alte Priester aus dem Nachbarort hält. Wir hatten schöne fromme und langsame Lieder eingeübt vom wandernden Gottesvolk und von der mühevollen Nachfolge, dazu  den Psalm "Bleibt in mir, wie ich in euch bleibe" und für den Schluss ein kämpferisch geschmettertes "É preciso renascer!"

Die Lesungen aus 2. Kor.5 und Joh 11, 21-27 (Auferweckung des Lazarus) waren mir vertraut, aber der Text aus dem 2. Buch der Makkabäer, also aus den Apokryphen, war für meine Ohren ganz ungewöhnlich, damit nämlich wurde der Zwischenaufenthalt der Seelen erklärt, das Purgatorium (früher sagte man wohl "Fegefeuer" dazu). 2. Makk.12

Ich stelle mir den Zwischenzustand, wenn ich überhaupt von einem Zwischenzustand statt von einem Ruhen in Christus spreche, ganz anders vor als dieses ungewisse Warten in einem gottfernen Reich. Gerade habe ich von Don Piper den Bericht über seine "90 Minuten im Himmel" gelesen. Und wenn die wunderbare warme Sonne über dieses Blumenmeer scheint und die getragenen Singstimmen der Frauen und Männer zu hören sind, fällt es mir leichter, mir die Vorhöfe zum Himmel und das Warten vor den Toren des goldenen Jerusalem vorzustellen.

Die apokryphen Worte und  die Erklärungen des Priesters haben uns sehr zum Fragen und Nachdenken gebracht und beschäftigen uns immer noch.

Allerdings wurde der trauernden Gemeinde ganz klar gesagt, dass es zwar wichtig ist, der Verstorbenen in Liebe zu gedenken und für sie zu beten, dass es aber nicht angeht, sie irgendwie freizukaufen. Auch unsere Blumen brauchen sie nicht und große Opfer und teure Messen, wohl aber Fürbitte und unseren eigenen "frommen Lebenswandel":

Denk an deine Vorfahren und lebe anständig, damit alle – besonders aber Gott -  Freude an dir haben.

Nach dem Gottesdienst, zu dem alle aus dem Dorf gekommen waren, schloss sich eine feierliche Prozession zum Friedhof an. Die acht Kirchenvorsteher, für dieses Jahr gewählt, holten sich ihre weißen Umhänge und violetten Krägen sowie die "lanternas" (die Ampeln an silbernen Stangen) und die große blauseidene Standarte mit der Nossa Senhora da Saúde und bauten sich vor den Kirche auf. Hinter ihnen schritt der Pater, dem die Gemeinde in zwei Reihen, rechts und links auf der Straße, folgte. Hin und wieder stimmte er ein Gebet an, das die Gemeinde aufnahm und weitersprach.

Merkwürdig und beeindruckend: Ein ganzes Dorf, das in Einmütigkeit geschlossen zum Friedhof wandert und seiner Verstorbenen gedenkt.

Auf dem Weg sangen wir ein altes Lied, völlig unbekannt und mit einer seltsamen Melodie. Das habe man früher immer gesungen, das gehöre dazu, nein, Noten für dieses alte Lied gebe es nicht, sagten die Frauen.  Dann hatten sie aber wenigstens ein paar Zettel für uns gedruckt, so dass auch wir in Abständen (alle 50 Meter) eine Strophe mitsingen konnten:

"DE PROFUNDIS"

Dai-lhes, Senhor, por vossa bondade
A Pátria da eterna felicidade

Die letzten zwei Silben dieses Refrains werden mit einer klagenden Schleife gesungen, und das klingt wirklich ganz fremdartig-schön, sogar wenn Maria Auguschte die Verszeilen verwechselt  und  "esperando a madrugada" sich auf "Deus omnipotente" reimen müssen und nicht können.

Auf dem Friedhof versammelten sich alle an den Gräbern ihrer Verwandten, ein bisschen zu dem Blumenschmuck der Nachbarn schielend, ein bisschen triumphierend, wenn der dem Vergleich nicht standhielt, ein bisschen beobachtend, ob man in seiner Trauer auch gesehen wird …, aber über allem stand die leuchtende warme Sonne, die ja bekanntlich über Gerechte und Ungerechte scheint. Der Padre ermahnte noch einmal in seiner großen Güte alle, den Vorbildern zu folgen und ein christliches Leben zu führen und viel zu beten für die, die uns vorausgegangen sind. Denn unsere Blumen brauchen sie nicht und unsere Opfergaben brauchen sie nicht, wohl aber unsere Fürbitten. Nun hatten es bestimmt alle verstanden.

2 Antworten

  1. B. schreibt:

    Nach eingehender Lektüre von Althaus, "Die letzten Dinge" ist nicht einmal die Fürbitte für die Verstorbenen angebracht, denn die Verstorbenen entwickeln sich nicht weiter, sie sind vollendet und ruhen in Gott.

  2. Volkmar schreibt:

    Ich erlaube mir mal, aus der letzten Enzyklika des derzeitigen Papstes zu zitieren (Spe salvi, Ziffer 48). Danach ist praktisch doch alles möglich, Beten für die Verstorbenen, Eucharistiefeiern ("Messen lesen"), ein christliches Leben (die Reformatoren nannten das polemisch "gute Werke", die römische Lehre spricht vom thesaurus bonorum für die Schlechten). Schließlich "greifen unsere Leben ineinander".
    Die portugiesische Prozession war also voll auf der Linie des Papstes.
    Theologisch ist das für mich als Protestanten alles nicht eindeutig genug, um nicht zu sagen wabbelig".

    Hier also Benedikt XVI:  "Noch ein Motiv muß hier Erwähnung finden, weil es für die Praxis christlichen Hoffens Bedeutung hat. Wiederum schon im Frühjudentum gibt es den Gedanken, daß man den Verstorbenen in ihrem Zwischenzustand durch Gebet zu Hilfe kommen kann (z.B. 2 Makk 12, 38- 45; 1. Jahrhundert v. Chr.). Die entsprechende Praxis ist ganz selbstverständlich von den Christen übernommen worden, und sie ist der Ost- und Westkirche gemeinsam. Der Osten kennt kein reinigendes und sühnendes Leiden der Seelen im ,,Jenseits’’, wohl aber verschiedene Stufen der Seligkeit oder auch des Leidens im Zwischenzustand. Den Seelen der Verstorbenen kann aber durch Eucharistie, Gebet und Almosen ,,Erholung und Erfrischung’’ geschenkt werden. Daß Liebe ins Jenseits hinüberreichen kann, daß ein beiderseitiges Geben und Nehmen möglich ist, in dem wir einander über die Grenze des Todes hinweg zugetan bleiben, ist eine Grundüberzeugung der Christenheit durch alle Jahrhunderte hindurch gewesen und bleibt eine tröstliche Erfahrung auch heute. Wer empfände nicht das Bedürfnis, seinen ins Jenseits vorangegangenen Lieben ein Zeichen der Güte, der Dankbarkeit oder auch der Bitte um Vergebung zukommen zu lassen? Nun könnte man weiterfragen: Wenn das ,,Fegefeuer’’ einfach das Reingebranntwerden in der Begegnung mit dem richtenden und rettenden Herrn ist, wie kann dann ein Dritter einwirken, selbst wenn er dem anderen noch so nahesteht? Bei solchem Fragen sollten wir uns klarmachen, daß kein Mensch eine geschlossene Monade ist. Unsere Existenzen greifen ineinander, sind durch vielfältige Interaktionen miteinander verbunden. Keiner lebt allein. Keiner sündigt allein. Keiner wird allein gerettet. In mein Leben reicht immerfort das Leben anderer hinein: in dem, was ich denke, rede, tue, wirke. Und umgekehrt reicht mein Leben in dasjenige anderer hinein: im Bösen wie im Guten. So ist meine Bitte für den anderen nichts ihm Fremdes, nichts Äußerliches, auch nach dem Tode nicht. In der Verflochtenheit des Seins kann mein Dank an ihn, mein Gebet für ihn ein Stück seines Reinwerdens bedeuten. Und dabei brauchen wir nicht Weltzeit auf Gotteszeit umzurechnen: In der Gemeinschaft der Seelen wird die bloße Weltzeit überschritten. An das Herz des anderen zu rühren, ist nie zu spät und nie vergebens. So wird ein wichtiges Element des christlichen Begriffs von Hoffnung nochmals deutlich. Unsere Hoffnung ist immer wesentlich auch Hoffnung für die anderen; nur so ist sie wirklich auch Hoffnung für mich selbst.40 Als Christen sollten wir uns nie nur fragen: Wie kann ich mich selber retten? Sondern auch: Wie kann ich dienen, damit andere gerettet werden und daß anderen der Stern der Hoffnung aufgeht? Dann habe ich am meisten auch für meine eigene Rettung getan."

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