Die Cappuccino-Marotte

Verfasst am: 11. November 2008 von Barbara 2 Kommentare

Die Capuccino-Marotte

Schatz und Engelchen waren zu Besuch. Zum ersten Mal in Portugal. Ein nettes junges Paar. Er nennt sie Engelchen, er ruft sogar "Engelchen", wenn er verzweifelt etwas sucht, wenn ihm ein Missgeschick passiert ist oder eine Wut auf den Chef in ihm aufsteigt. Sie nennt ihn Schatz und legt alle ihre Gefühle da hinein. Alle Sätze, Befehle, Vorwürfe und Proteste, die  mit "Schatz" eingeleitet werden, sind nur noch halb so ent-setz-lich, befehlshaberisch, vorwurfsvoll oder protestierend. Das sollte man sich mal merken und als häusliche Übung ausprobieren.
Man sollte sich auch merken, dass niemals eine jüngere Frau mit demselben Vornamen neben einem wandelt, da dann zur Unterscheidung alle Leute sagen: die "junge" Thusnelda-nova und die "alte" Thusnelda-velha, was im Falle der alten Thusnelda den Alterungsprozess irrsinnig beschleunigt. Wenn erst mal einer sagt, du seist die "alte Thusnelda", bist du in diesem Augenblick um Jahre gealtert. Die Verkalkung und Vergreisung ist in dem Augenblick des ausgesprochenen Wortes festgeschrieben, du bist damit abgemeldet.

Nun gut.

Schatz und Engelchen fanden Portugal paradiesisch schön und bewunderten alles und genossen die schöne Andersartigkeit und die andersartige Schönheit. Das herrliche Meer, den Strand im Sonnenschein, die leuchtenden Farben, die Orchideen, die freundlichen Menschen, die schönen Hausfassaden, das Gold, die Azulejos, die Orangen, die frischen Brötchen, die höflichen Nachbarn, die hübschen Katzen, die duftenden Eukalyptuswälder.

Aber Engelchen hat eine Marotte: Ein Sahneklecks auf allem muss sein!
Und der Sahneklecks ist ein Capuccino.
Der Cappuccino macht die Schönheit des Augenblicks erst vollkommen. er krönt den Augenblick.
Cappuccino ist einfach ihr Schönstes.

Also bekam Engelchen ihren Cappuccino beim ersten Besuch am Meer in meinem kleinen ozeanumbrausten Literaturcafé, beim Besuch von Fatima, Nazaré, Coimbra, Aveiro, … wo immer wir uns auf zierlichen Stühlchen niederließen: Portugal wartete überall mit einem Cappuccino auf, um Engelchen in vollkommener Schönheit zu erfreuen.

Am letzten Nachmittag vor der Heimreise besuchten wir noch das Jagdschloss Bussaco, das oberhalb von Luso in einem herrlichen Park liegt und sich im milden Herbstsonnenlicht majestätisch und manuelinisch verschnörkelt präsentierte. Im Park blühten schon weiße Kamelien und noch späte Rosen, ein Schwan plusterte sich auf dem Teich gewaltig auf, einige Gärtner bepflanzten die barocken Beetornamente, ein paar russisch sprechende Touristen schlenderten bewundernd herum.

"Schatz", sagte Engelchen – und zeigte ihm alles, was sie an Wundern entdeckte. "Schatz, sieh mal…"
Und als wir um das Schloss herum wanderten, das inzwischen als Fünf-Sterne-Palace Hotel auf Portugals Bestenliste ganz oben rangiert, kam, was kommen musste: "Schatz, hier müsste man Cappucino trinken!"
Schatz nickte, er war darauf gefasst gewesen.
"Kann man hier im Hotel Kaffee trinken?"
"Keine Ahnung, wir haben noch nie gefragt."
"Gibt es hier Gäste?"
"Ja, das haben wir schon erlebt. Hier steigen manchmal sehr reiche Leute ab. Einmal haben wir hier auch schon eine Hochzeitsgesellschaft gesehen, die Feier fand in dem Salon statt, den man dort hinter den großen Fenstern sieht."
"—"
Und dann: "Schatz, fragst du mal?"
Und Schatz stieß beherzt die große Eingangstüre des Palace Hotels der "Alexandre de Almeida"-Hotelkette auf, bahnte sich ungeachtet der fünf Sterne einen Weg in das verschlafene Dornröschenschloss und fragte den Portier oder Emfangs-Senhor in artigem Englisch (wenn schon mit Engelchen-Auftrag, dann auch mit Engelszungen), ob er hier einen Kaffee trinken könne.
"Aber bitte sehr, gerne, der Herr", sagte der vornehme Empfangschef. "Bitte, treten Sie ein."

Wir traten ein.
Wir traten in den Teesalon oder das Kaminzimmer oder wie immer dieser verträumte riesige Raum des Schlosses mit Teppichen, Wandgemälden, alten Möbeln, Wappen, bombastischen plunschigen Sofas und Sesseln und alten Stühlen heißen mochte. In einer Ecke hockte ein älteres Paar und schwieg sich an. Wir nahmen staunend und erwartungsvoll Platz.

Was kommt wohl jetzt?
Hatte Schatz sich wohl richtig ausgedrückt?

Es passierte erstmal gar nichts.
Jedenfalls nichts, was wir sehen oder hören konnten.
Aber ich glaube, hinter den Kulissen passierte dasselbe wie im Märchen vom verzauberten Dornröschenschloss, als endlich der Prinz aufkreuzte, sich durch die Rosenranken durchschlug und das schlummernde Dornröschen wach küsste: Der Uniformierte von der Rezeption ging in die Dienstbotenräume, weckte den Kellner, herrschte ihn an, seine weiße Jacke zu bügeln, das Silbertablett zu putzen und die Bestellungen der Gäste entgegen zu nehmen…"und der Koch gab dem Küchenjungen eine schallende Ohrfeige" (diese Stelle aus dem Märchen hat mir immer am meisten gefallen, und ich lauschte auch jetzt, um die schallende Ohrfeige in der Küche nicht zu überhören).

Stunden später…

erschien dann auch der kleine Ober mit Serviette und Tablett und fragte nach unserem Begehr, und Engelchen sagte huldvoll und nachsichtig, denn das hätte er doch wissen müssen, nichts anderes wollte sie hier trinken als "Einen Cappuccino, por favor!"
"Und für die anderen Herrschaften einen galão, bitte", sagten wir.
"Darf es sonst noch etwas sein?", fragte der Ober. Jetzt, wo er schon einmal wach war, war er bereit, sein Bestes zu geben.
"Was haben Sie denn im Angebot?", fragten wir keck.
Und er sagte: "Spumante."

Hast du schon mal am Nachmittag zum Kaffee ein Glas Schaumwein getrunken? Trinkt man das hierzulande zum Kaffee?

Ich muss mich doch sehr wundern.
Nein, man wollte keinen Kaffee mit Spumante. Danke.
Er trollte sich.

Stunden später…
Wir hatten mittlerweile alle Gemälde und Jagdszenen interpretiert, die Geschichte dieses Ortes und die historischen Hintergründe erklärt und uns amüsiert über das Palace Hotel ausgetauscht, da hörten wir hinten in einer abgedunkelten dämmerigen Ecke des angrenzenden Salons endlich Geschirr klappern ("Ich bin sehr gespannt auf das königliche Jagdschloss-Service", sagte Engelchen. "Sicher ist es von Vista Alegre."), dann zischte die Kaffeemaschine, und dann erschien der freundliche Ober wieder und stellte den Cappuccino und unseren Kaffee nebst einem Gesteck königlicher Papierservietten vor uns hin. Die weißen Tassen hatten einen blauen Rand mit Gold und trugen ein Wappen. Edel und schlicht und natürlich von Vista Alegre. Das Gebäck auf dem Tellerchen war frisch und knusprig und der Kaffee ausgezeichnet.

Engelchen saß kerzengrade und strahlend da und genoss den Sahneklecks auf diesem portugiesischen Moment vollkommener Schönheit. Sie kam noch strahlender vom Besuch der verspiegelten weitläufigen "Toilletten" (mit zwei ll!) mit den blütenweißen Frotteehandtüchern und den frischen kostbaren Blumenarrangements. zurück: "Auf den Azulejos im Foyer kann man Wellington bewundern und die weißen Rosen, Lilien, Anthurien und Protéen sind echt."

Auch Schatz strahlte und war glücklich, selbst, nachdem er den Sahneklecks bezahlt hatte, der übrigens genau so teuer war wie in allen anderen portugiesischen Cafés, aber doch viel, viel schöner.
Dieser Cappuccino war das Schönste überhaupt.

2 Antworten

  1. Engelchen schreibt:

    Hier schreibt Engelchen. Genauso, und nicht anders ist es gewesen und ist für mich, als hätte jemand mal eben den Moment in einem liebe- und humorvollen Malstil in einem Bilderrahmen eingefangen. Es ist sehr spannend und schön                                            
    sich mal durch die Augen eines anderen zu sehen, vor allem, wenn es deine Augen sind. Finde die Geschichte ganz doll schön.
    Grüße von Schatz u. Engelchen.

  2. Gundi Liebehenschel schreibt:

    Es ist zwar nicht mein Engelchen, jedoch meine allerliebste Nachbarin und ich kann mir ihre verzückten Augen vorstellen beim Schlabbern des Cappucchino und wünsche ihr und ihrem Schatz noch viele besselte Cappus,
    eure Gundi mit Bolly

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