Menschen am Meer

Verfasst am: 8. November 2008 von Barbara Keine Kommentare

Menschen am Meer

Heute am Strand beobachteten wir eine Gruppe von Menschen, die die Dünen hinunter zum Meer stapften und dort lange standen. Die Prozession war langsam und hatte etwas sehr Feierliches, Rituelles an sich. Nahe am Wasser blieben die schwarz gekleideten Menschen stehen und schauten alle regungslos in dieselbe Richtung nach Westen über das Meer hin. In der letzten Reihe standen ein paar Frauen, die ihr Kind auf dem Arm trugen. Manchmal setzten sie die Kinder zum Spielen auf den Strand.

Wir haben solche Szenen schon öfter beobachtet: Menschen am Strand.

…"Eingehüllt in der Winde Tuch
Füße im Gebet des Sandes,
der niemals Amen sagen kann,
denn er muss
von der Flosse in den Flügel
und weiter."

Gibt es nicht ein berühmtes Gemälde (Edvard Munch??), wo eine Gruppe von Frauen wartend und bangend am Meer steht und hinaus schaut.

Dieses Bild der Menschen dort in der Ferne am Strand. berührte uns sehr, es hatte irgendetwas sehr Archaisches an sich, etwas Religiöses.
"Sie beten sicherlich."
"Oder sie übergeben dem Meer ihre Gaben, Opfergeschenke…"
"Oder sie gedenken eines Menschen in Amerika und schicken ihre Wünsche hinüber."
"Oder sie beten für einen Verstorbenen in Venezuela oder Brasilien, zu dessen Trauerfeier sie nicht kommen können."
"Aber es sind doch so viele… Eine Gemeinde. Oder eine große Familie."

Wir gingen näher heran.
Dann lösten sich die Menschen langsam aus ihrer Erstarrung, drehten sich um und der Zug bewegte sich. Die Frauen mit den Kindern auf dem Arm gingen schweigend und feierlich den Weg über die Dünen zurück. Ihnen folgten mehrere Personen, – und dann:
"Schau mal, sie tragen jemand."
Acht starke Männer hielten ein Segeltuch und trugen darin einen Menschen zu den wartenden Autos zurück.
"Ein alter Mann, es ist ein alter Mann. Sie tragen einen alten Mann."
"Sicher ein Kranker, das ist hier ganz biblisch, weißt du, die Heilung des Gichtbrüchigen…"
"Vielleicht hat er sich gewünscht, noch einmal am Meer zu sein, noch einmal die Luft einzuatmen, das Rauschen zu hören, in die endlose Weite und Ewigkeit zu schauen…"
"Vielleicht war es ein letzter Wunsch, bevor er stirbt, das könnte ich mir wirklich vorstellen."
"Vielleicht war es ein Fischer oder ein Seemann, ein Kapitän, der noch einmal zu seinem geliebten Meer wollte."

Die Männer trugen den Mann in der Plane schweigend zum Auto und setzten ihn hinein. Wir verfolgten ihr Tun, denn wir wollten wissen, ob der Mensch, den sie da trugen, alt und krank oder gar schon gestorben war. Nein, ein Toter war es wohl nicht. Er saß, soviel konnten wir sehen, in das Tuch eingeschlagen aufrecht im Auto.
Das Auto brauste los, und die anderen zehn oder noch mehr Autos fuhren sehr schnell hinterher.

"Jetzt bringen sie ihn entweder nach Hause oder ins Hospital. Vielleicht ist es ein Sardinenfischer hier aus den Ortschaften hinter den Dünen."

Der Konvoi hatte denselben Heimweg wie wir, er raste durch Vagos, auf den Autobahnzubringer und weiter in Richtung Palhaca.

Und wenn das Meer diesen Menschen so getröstet und belebt und gestärkt hat wie uns, dann haben die Freunde und Angehörigen dem Kranken bestimmt ein wunderbares Genesungs-Geschenk gemacht. Unsere guten Wünsche fliegen ihm zu.

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