Beerdigung im Dorf

Verfasst am: 27. Oktober 2008 von Barbara Keine Kommentare

Beerdigung im Dorf

Am Samstagmorgen, 25.10.2008, starb Dorindo.
Er starb na madrugada, im Morgengrauen, und als die Sonne hell schien, läutete die Glocke im Dorf und große Trauer breitete sich aus.

Er war der schönste junge Mann im Dorf gewesen und er war noch so jung, seine mädchenhafte Frau erstarrte in ihren Tränen und in ihrem unfassbaren Kummer, die achtjährige Tochter umarmte und tröstete sie.

Wir waren damals alle auf seiner Hochzeit gewesen. Viel junges Volk war da, sie waren alle sehr übermütig, wie junge kraftvolle toros. Wenn einer so intensiv lebt, als müsse er jede Minute auskosten…
"Gostas do meu casamento?", fragte der Bräutigam. "Sehr, aber am meisten gosto de ti." Da hat er sich so gefreut, dass er noch wilder mit seiner Braut tanzte, die so zart und ätherisch wie eine Elfe war.

Und nun war er gestorben. Der Hirntumor. Allen im Dorf brach das Herz, weil sie an seine trauernde Mutter dachten, die während seiner Erkrankung so viel gebetet hatte und nach Fatima gepilgert war, und den Vater, der so beliebt ist, an die Geschwister, an den ganzen großen Familienverband, fast das ganze Dorf ist irgendwie verwandt und verflochten mit dieser großen Familie. Jeder war betroffen, zuckte mit den Schultern und sagte: "É a vida."  So ist das Leben. Das habe ich wohl an die hundert Mal gehört. É a vida.

Es ist hier aber so Brauch, dass sich eine ganz fantastische traditionelle bewährte Maschinerie in Gang setzt, wenn jemand gestorben ist. Wie das beginnt, wer das in Bewegung setzt, weiß ich nicht. Aber die Bestattungsinstitute funktionieren wunderbar und sehr pietätvoll und einfühlsam. Nicht so wie in Güstrow, wo man die gröbsten Taktlosigkeiten einstecken musste und überhaupt keine Hilfe bekam, als man seinen
lieben Verstorbenen beerdigen wollte. Nein, hier erscheint – von wem gerufen? von wem angemeldet? – ein liebenswürdiger schwarz gekleideter Senhor mit sehr viel Erfahrung und echtem Mitgefühl und nimmt die Sache in die Hand, während die Familie noch mit der Todesnachricht und mit ihrem Entsetzen kämpft.

Wenn die ersten Nachbarn herbeilaufen und ihr Beileid aussprechen, liegt da schon ein Kondolenzbuch bereit und eine Bestellung für Blumengestecke und Kränze, der Friedhof wird vorbereitet, die Todesanzeige wird gedruckt, der Padre benachrichtigt, die Trauerfeier festgelegt – sehr würdevoll, still und sanft geschieht das alles.

Abends kam ein Chormitglied mit dem Fahrrad an und teilte uns mit, dass wir uns in einer Stunde in der Kirche versammeln, um die Lieder für die Trauerfeier zu üben. Die Beerdigung sei am nächsten Tag.

Das war immer so und das sollte jetzt auch so sein. Am folgenden Tag, also am Sonntagnachmittag findet die Beerdigung um 4 Uhr statt.

Nach der Messe am Morgen wurde der Sarg in die Kirche getragen, aufgebaut und geschmückt. Der junge Dorindo lag da im offenen Sarg vor dem Altar im Angesicht des Kruzifixus, während die ganze Familie in der Kirche bei ihm saß und Totenwache hielt. Viele kamen und kondolierten, standen am Sarg und beteten und alle umarmten und küssten sich und weinten und schluchzten. "Ai, ai", das ist ein einziger ergreifender Seufzer.

Als der Trauergottesdienst beginnen sollte, war die Kirche überfüllt, die Straße und der Platz waren total verstopft, jede freie Stelle zugeparkt, und es kamen immer mehr Menschen.

Unser Dorf hat wohl nur 300 bis 400 Einwohner, aber hier kamen sicher mehr als 500 Menschen, die Freunde, die Verwandten, die Arbeitskollegen, die Feuerwehr… Das Bestattungsinstitut hatte für jeden die Blumensträuße bereit, wunderschön verpackt und mit Schleifen versehen, und die Kirche war ein einziges Blumenmeer. Und ein Tränenmeer. Und alle umarmten sich, immer wieder, und küssten sich und schlangen die Arme um den Hals und trösteten sich weinend und schluchzend und streichelnd.

Der liebe alte Padre fand schöne Bilder und Worte, er sprach von allen den Heiligen, die als junge Menschen viel früh abgerufen wurden, und er sagte, dass Gott als Gärtner seine schönsten Blumen im Garten zu sich holt. Wie er das sagte, waren alle ganz andächtig, ja, sie fühlten sich getröstet. Es geht so viel Liebe von diesem Priester aus.

Dann deckte die Feuerwehr eine rote Fahne über den Sarg, hob ihn auf, wendete ihn und trug ihn hinaus. Und da schrie die kleine Tochter laut auf, denn jetzt nahmen sie ihr den Papa wirklich weg. Das drang jedem ins Herz.

"Nun setzt sich der Trauerzug in Bewegung", heißt es mal bei Mutter Courage, und die zählt unbeirrt bei ihrer Inventur die Socken weiter. Vielleicht hat der Senhor Bestatter auch die Menschen gezählt oder die Blumen, aber für Mutter Courage war es unmöglich. Der Zug war endlos. Rechts und links gingen die Trauergäste die Straße entlang, jeder mit herrlichen Lilien, Orchideen, Gerbera, Farnkraut in den Händen. Und als der Sarg schon am Friedhof ankam, sah man oben bei der Kirche noch immer kein Ende.  Da schlossen sich immer noch Menschen, die an der Kirche gewartet hatten, an den Zug an.

Es war ein warmer herbstlicher Spätnachmittag, über dem Friedhof stand die Sonne und ging rotgolden in einem großartigen Licht unter. Und die Menschen kamen und kamen und brachten ihre Blumen.

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