Meine schönen Avencas

Verfasst am: 5. Oktober 2008 von Barbara Keine Kommentare

Meine Avencas, meine schönen Avencas

Damals, vor vielen Jahren, ach  ja, hatte meine Nachbarin auf ihrem noch nicht zementierten Hof zwischen Kuhfladen und Mauselöchern, Hundehütte und dem alten Plastiksessel für die Oma, zwischen Pfützen und Ochsenfuhrwerk ihre zwanzig oder mehr Töpfe mit zartem Farnkraut stehen, dem all ihre Liebe und Fürsorge galt.
"Meine Avencas, meine schönen Avencas!"
Daraus hätte man als Regisseur eine komplettes Theaterstück bauen können, denn in diesen Ausruf kann man alles hineinlegen, was das Herz bewegt:
- den leisen Triumph darüber, dass die eigenen Avencas schöner sind als bei der Nachbarin,
- die Trauer über jeden verwelkten Zweig,
- das Entsetzen über einen abgebrochenen Busch, nachdem sich das Enkelkind mit dem Fahrrad in die Blumentöpfe hinein manövriert hatte,
-das Entzücken und den Jubel über die neu sprießenden Triebe,
- die Fürsorge einer Alten- und Krankenpflegerin,
- die Zärtlichkeit und Liebe, die man einst dem Namorado, später dem wundervollen Sohn entgegenbrachte,
- Besitzerstolz und Weheruf und  …
ach, ein ganzes (vor allem portugiesisches) Frauenleben liegt in diesen Worten:
"Meine Avencas, meine schönen Avencas."

Nachdem sich das Interesse der Nachbarin im Laufe der Zeit anderen Pflanzen zuwandte (wir erwähnten bereits die Orchideen und Protaeen), waren die Avencas zunächst mal bei mir unter dem Vordach untergebracht, so wie man ungeliebte Schwiegermütter in die Pflegeheime abschiebt. Damit sie dennoch ein wenig Zuwendung bekamen, fand bei jedem Besuch eine (Kontroll-)Besichtigung statt, die in Lobeshymnen ausartete: "Ai que linda! Wie schön die Avencas doch bei dir gedeihen! Ja, hier haben sie das beste Plätzchen, keinen Zugwind, nicht zu viel Sonne, ja, hier stehen sie besser als bei mir. Du kannst von Glück sagen, dass ich sie dir gegeben habe, sie haben immer noch meine gute Erde mit meinem guten Dünger…"
Und so hege und pflege ich denn nun die Avencas, die schönen Avencas. Ach, diese süßen vertrauten Worte! Nur kann ich nicht alle meine Gefühle hineinlegen, denn meine Katzen lieben die Blumenpötte mit den Farnschleiern auch sehr und benutzen sie zum Versteckenspielen, Herumklettern und als Trinknapf. Das Wasser in den Untertellern scheint ihnen besser zu schmecken als alles andere. Und ich kann auch deshalb nichts in "Meine Avencas, meine schönen Avencas!" hineinlegen, weil die Katzen sich dort hineinlegen. Sieh mal: Der kleine dicke Siamkater! Der flundert sich ganz gemütlich oben in das zarte Grün, benutzt meine Avencas, meine schönen Avencas als Seegrasmatratze, als weiches Farnkraut, als moosiges Bett im Walde. Da denk ich doch gleich an Tristan und Isolde und kann gar nicht mehr schimpfen, weil ich das Bild sehr niedlich finde. Dieses zusammengerollte Katerchen in dem zartgrünen Blumentopf, sieht das süüüüß aus!
Und ich seufze nur ganz ganz leise: "Meine Avencas, meine schönen Avencas."  

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