Alte Männer in Shorts

Verfasst am: 20. September 2008 von Barbara 2 Kommentare

Von der Würde des Alters  oder
Alte Männer in Shorts

In einem idyllischen Dorf am Bodensee, wo sich viele Rentner und Pensionäre niedergelassen haben, begegnete uns beim Morgenspaziergang ein dicker alter Mann im Touristen- oder Freizeitlook mit weißem Achselhemd und schwarzen Shorts, aus denen blasse dünne Beine mit schwarzen Socken und Sandalen hervor lugten. Weil die Hose für den mächtigen Leibesumfang bemessen war, reichten die weiten Hosenbeine bis an die Knie. Deshalb wirkten die weißen Beine, von Waden keine Rede, noch spilleriger. Das Achselhemd spannte sich über seinen kugelrunden Bauch und ließ die grau behaarte Männerbrust frei. Auch der Glatzkopf war kugelrund.
Das hätte nun eigentlich ein heiteres Bild sein können, und ich erinnerte mich an ein Gedicht über einen kunterbunten Mann aus den Kinderbüchern. Meiner kleinen Sarah hätte ich also erzählen können:

"Pass auf, ich will dir was erzählen
von einem dicken kugelrunden Mann,
der hatte dicke kugelrunde Hosen an,
auf seinen Schultern saß
ein dicker kugelrunder Kopf,
der Mann trug in den kugelrunden Armen
einen dicken kugelrunden Topf,
er kam auf kugelrunden Beinen
mit dem kugelrunden Topf vom Haus
und warf den Topf, den kugelrunden, weg
und aus."

Aber nichts an dieser Begegnung war heiter, es war unwürdig und lächerlich. Es war die allertraurigste Erscheinung, die uns da begegnete, und wir wurden von großem Mitleid mit diesem armen Menschen erfasst, der so unwürdig bekleidet war und dessen einzige Tätigkeit an seinem Lebensabend darin bestand, einen kleinen Müllbeutel zur Abfalltonne (natürlich sorgfältig getrennt) zu bringen und zu leeren. Von wegen "Geh aus, mein Herz, und suche Freud…"
Traurig und lächerlich.

Hier im Dorf gibt es sehr viele alte Männer, sie haben immer zu tun, aber sonntags sitzen sie (im guten Anzug)  manchmal im Café oder vor dem Haus, schauen in die Ferne oder reden mit den Vorübergehenden.
Auch die vielen alten Männer aus dem Altersheim im Nachbardorf sehen wir freundlich vor dem Haus sitzen, die Wege entlang wandern oder in der Sonne träumen. Nie würde jemand sich in Shorts zeigen, ich glaube, die gibt es hier gar nicht.

2 Antworten

  1. volkmar schreibt:

    Ich denke, man sollte dankbar sein, dass der Mann wenigstens noch Hose und Hemd anhatte.
    Ich war mal auf Gran Canaria (ein Mal und nie wieder!), ging am Strand entlang und landete auf der Playa del Ingles. Da liefen diese Typen, übrigres auch Frauen gleichen Kalibers, ohne solche Textilien herum.
    Ich hatte den Eindruck, dass sie sich sehr stolz vorkamen.
    Gegen das "Spannen" hilft nur eines: Playa del Ingles, und der Appetit vergeht!

  2. v. schreibt:

    Schon dem römischen Schriftsteller Sueton (2. Jh.) fiel in seiner in seiner Vita des Kaisers Domitian (Kap. 18) das „entstellte“ Aussehen auf: »Domitianus war schlank gewachsen, sein Gesicht hatte einen bescheidenen Ausdruck und war gerötet. Er hatte große, aber etwas schwache Augen. Besonders in seiner Jugend war sein Körperbau schön und stattlich gewesen, mit Ausnahme der Füße, deren Zehen zu kurz waren. Später entstellte ihn eine Glatze, dazu kamen ein dicker Bauch und zu dünne Beine… «
    http://www.wwu-muenster.de/Rektorat/museum/am-315.htm

    Gibt es eine bessere Gesellschaft als die von Sueton?

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