Über das Schätzen von Schätzen

Verfasst am: 18. September 2008 von Barbara 3 Kommentare

Frauen als Schätzchen unter-über-wert-ein-verschätzen

Beim Jubiläum des ALFA-Literatursalons im Algarve begann ein Redner die Würdigung der Initiatorin Barbara Fellgiebel alias Arabella Fibelberg mit dem Zitat:
"Man kann Frauen nicht hoch genug überschätzen."
Und alles klatschte Beifall und nickte zustimmend.

Das sollte wahrscheinlich ein Lob sein.
Sollte Bewunderung ausdrücken.
Aber, Moment mal…
Hoppla, war das denn überhaupt ein Kompliment?

(Und noch eine Frage: Von wem stammt eigentlich dieses merkwürdig falsche Wort?)

"Man kann nicht…" meint wahrscheinlich "Ein Mann kann nicht…"
Also, ein Mann kann eine Frau nicht richtig einschätzen.
Das stimmt.
Er unterschätzt sie fast immer.
Er unterschätzt sie sogar sehr, denn Frauen können meistens mehr, als man(n) so einschätzt. Und wenn man(n) sich die Leistung dann ansieht, dann hat man(n) die tolle Frau doch echt unterschätzt.  Jedenfalls die tolle ALFA-Frau Barbara Fellgiebel, die in den 3 Jahren monatlich an die hundert Zuhörer zusammen holte, bei Günter Grass sogar noch viel mehr, die 5 Bücher herausgab, 3 Wettbewerbe veranstaltete, 3 Ausstellungen mit Kunst-Auktionen durchführte, vielen Autoren zu einem Durchbruch verhalf und ihnen dazu ein wunderbares Podium bot, und noch mehr und noch mehr… Also, diese Frau hatten wohl alle unterschätzt und bestimmt nicht richtig eingeschätzt. Jetzt sehen wir das erst richtig: Sie hat alle unsere Erwartungen bei weitem übertroffen! Also Applaus, Applaus.

Aber warum klatschen sie jetzt Beifall, wenn jemand sagt: "Wir haben diese Frau nicht hoch genug überschätzt!" HOCH genug ÜBERschätzt – was heißt denn das? Warum spenden die Zuhörer da Beifall?

3 Antworten

  1. B. schreibt:

    Das hochgeschätzte Wort  stammt von Karl Kraus!
    Bei google gibt es Ergebnisse auf ungefähr 221.000 Seiten auf Deutsch für "Man kann eine Frau nicht hoch genug überschätzen".
    Nun weiß ich wenigstens, dass es pure Ironie ist…
    Bei google steht es gleich als erstes in einem Rezept für gefüllte Gans. Wenn das nicht dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt!

  2. volkmar schreibt:

    Die Sache mit dem "nicht" bzw. der angeblichen Verneinung hatten wir doch schon mal. "Kein Besuch in der Bäckerei sollte vergessen werden." – oder so ähnlich.

    Dieses "nicht" bringt mich auf die Frage, ob es sich "nicht" wie im Französischen um das so genannte "ne explétif" handelt, eine Partikel, die keinen weiteren Wert hat, ein Füllwort. "Travaillez avant qu\’il ne soit trop tard." – Arbeitet bevor es zu spät wird. Und nicht: ….bevor es nicht zu spät ist.

    Danach könnte man Frauen hoch genug überschätzen. Männer übrigens auch, von der Seite der Frauen. Aber das klänge dann weniger ironisch, besser: Der Zuhörer merkt schneller die Ironie.

  3. v. schreibt:

    Ich melde mich noch einmal dazu. Wenn es heißt "eingeschätzt werden", würde die Laudatio ja stimmen. Aber das "über-" ironisiert ja das Lob, auf eine hinterhältige Weise, denn man denkt an "eingeschätzt" und hört, was man eigentlich hören will.

    Ich sehe drei Interpretationsmöglichkeiten:
    1) Der Lobredner (oder war es eine Rednerin?) ist auf eine Verharmlosung reingefallen. Man gebraucht ja manchmal solche Redensarten positiv, die eigentlich eine Sache negativ ausdrücken, gebraucht sie immer häufiger, sie werden zu einer metasprachlichen Ausdrucksweise, die nur Eingeweihte verstehen, man merkt dann selber nicht mehr, worum es geht, wenn man diese, inzwischen für einen selbst harmlos gewordene Redensart vor einem anderen Publikum gebraucht.
    Falls die Autorin, die da gelobt werden sollte, zu den Eingeweihten gehören sollte, wäre solche Rede zu rechtfertigen. Ich kann mir das aber nur schwer vorstellen.

    2) Der Laudator wusste selber nicht, wie das applaudierende Publikum, was er da eigentlich sagte. Er hat sich keine Mühe gegeben, seine Rede vorher ein wenig auszuarbeiten. Er hat einfach drauflos geredet.- Das kann ich mir schon eher vorstellen.

    3) Das Geschenk wurde absichtlich vergiftet. Der Laudator ist neidisch, er gönnt der Autorin die Ehre nicht. – "Brutus is an honorable man!" – Die Leute klatschen, bis sie erst sehr spät merken, dass im Grunde das Gegenteil gesagt worden ist. Aber sie trauen sich nicht, zu protestieren, weil sie damit ihre Dummheit dokumentieren müssten. – Höchste Form der Veräppelung des Publikums durch den Redner!

    Wahrscheinlich kommt diese Interpretation der Wahrheit am nächsten.

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