Der perfekte Sonnenuntergang

Verfasst am: 2. Juni 2008 von Barbara Keine Kommentare

Der perfekte Sonnenuntergang

"Es gibt ihn nicht!", habe ich gesagt, wenn wir am Strand saßen und darauf warteten, dass "…die rote Sonne im Meer versinkt und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt". Kann ja sein, dass Rudi Schuricke das bei Capri so erlebt, aber das Mittelmeer ist ja auch ganz was Anderes und Italien ist nicht Portugal. "Das Mittelmeer ist ein Meer für Feiglinge, aber der Atlantik…!", hat ein junger Seefahrer gesagt, der musste es wissen und wir wissen es auch: HIer versinkt die rote Sonne nicht im Meer. Weil nämlich hinten am Horizont, da wo der Meeresspiegel sich vom Himmel abgrenzt, immer eine Dunstschicht wie eine Wolkenbank über dem Wasser liegt,
die die sinkende Sonne aufschluckt, so dass sie plötzlich nicht mehr sichtbar ist, ehe sie völlig im Westen untergegangen ist.
Ich habe schon so oft am Strand gesessen und hinübergeschaut, reglos und erwartungsvoll: Die Sonne stand wie eine Orange am fernen Horizont, die Wärme ließ nach, die Badegäste packten ihre Sachen und verließen den Strand, ein Möwenschwarm zog dahin, das Wasser wurde stiller und stiller – und jetzt würden die Fischer in Capri mit ihren Booten hinausziehen aufs weite Meer, jetzt fällt die Sonne ins Wasser und geht leuchtendblutrot unter … jetzt…

Der ehemalige beliebte Padre von Sto. Antonio, der Padre Creoulo, hat ein Chorlied "Avé Marias" geschrieben, das diese Stimmung besingt: O sol morre e cai no mar und die Abendglocken läuten wehmütig dlim-dlim und dlao-dlao. Der Chor singt es mit Hingabe, aber diese Stimmung gibt es gar nicht an unserem Strand, denn niemand läutet mehr die Abendglocken, und die Sonne verschwindet völlig unspektakulär, das ist jedesmal so ein missglücktes frühzeitiges Verschwinden, über das man nur wegen seiner Unvollkommenheit traurig sein muss. Außerdem würden die portugiesischen Sardinenfischer niemals abends aufs Meer hinausziehen und nachts fischen, sie haben ganz andere Regeln und Traditionen und Fangzeiten. Der Ozean ist nachts viel zu gefährlich für die Sardinenfischer von der Gafanha.

Natürlich bleibe ich trotzdem oft auf den Dünenhügeln sitzen und erwarte ein Wunder. Oder "das" Wunder: einen perfekten Sonnenuntergang.

Und ich habe ihn in den vielen Jahren auch schon zweimal wirklich erleben dürfen:
vollkommen!
Vollkommen schön!
So wie im Kino.
Die Sonne wird immer roter und feuriger, sie kreist als orangeroter Feuerball und sinkt zusehends und berührt das Wasser und taucht ein, taucht ein, auf der Wasseroberfläche entsteht eine kupferrot schimmernde Bahn, ein Teppich von der Sonne bis zu mir, jetzt seht nur: das untere Segment ist verschwunden, jetzt ist sie halb weg, sie sinkt tiefer, sie sinkt, ich möchte sie festhalten, sie versinkt vollkommen, noch ein letzter glühender Streifen, ein Aufblitzen, dann ist sie verschwunden, aber ein rosiger Glanz ist am Abendhimmel hinten über dem Meer, und man weiß, dahinter, hinter dieser Erdwölbung leuchtet sie jetzt, dort geht sie auf und strahlt…

Das habe ich zweimal in allen den Jahren erlebt. Zweimal habe ich zugesehen.
Atemlos, regungslos und wortlos.

Aber als wir im Februar hinter den Glasscheiben im Café Neptun saßen und auf den Sonnenuntergang warten wollten, habe ich gesagt: "Hier gibt es keinen , jedenfalls keinen perfekten. Die Sonne verschwindet hinter einer Wolkenbank, hinter diesem Dunststreifen über dem Meer, seht ihr?"
Sie blieben aber trotzdem sitzen und schauten auf das Wasser, den Fotoapparat bereit haltend.

Und was soll ich sagen?
Dieser dunkle Dunst verzog sich plötzlich und der Wolkenstreifen war verschwunden und die Sonne versank in vollkommener Schönheit blurot wie bei Capri im Meer.

Das war das dritte Mal.
Da war ich sprachlos.

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