Weihnachten 2007

Verfasst am: 28. Dezember 2007 von Barbara 1 Kommentar

Weihnachten 2007

"Möge es doch auch in diesem armen Dorf geschehen, dass Jesus kommt und eingelassen wird."

Der Deus Menino kam am 24.12. 2007 in der Heiligen Nacht nach Portugal, wo er ja eine Stunde später als bei den östlichen europäischen Christen geboren wird. Er kam aus ganz gottverlassenen Gegenden, ich kann Ihnen sagen, je gottverlassener, desto mehr elektrische Glühbirnen und leergekaufte Geschäfte und proppevolle Gottesdienste. Manchmal drängelte sich der Deus Menino durch die Menschen, die alle Weihnachtsstimmung ergattern wollten, er fragte höflich, was es denn hier gebe und warum man so viel laute Musik mache, aber er kriegte keine Antwort, denn in Deutschland sind Kinder zur Zeit nicht so beliebt, die lässt man lieber verhungern und verdursten und bringt sie einfach um.
Wer er denn sei, fragten sie ihn, denn er hat ja so wenig Ähnlichkeit mit der Coca-Cola-Reklame und mit dem wunderschönen Kind, das Johnny Cash nach der Melodie "Green Sleeves" besingt.

Beeilte sich das Jesuskind also, in das fromme Portugal zu kommen, denn da wohnt ja schließlich seine Mutter, da im Mutterland – weil ja man wohl nicht Vaterland sagen kann – wird man sich gewiss freuen.

Er kam über die kahlen Grenzgebirge, wo nur noch wenige alte Menschen wohnen, die ihn herzlich in die Arme nahmen und küssten. Aber sie sagten auch alle, dass er wohl zu früh kommt, denn in der Heiligen Nacht ist er noch nicht dran. Da wird nur gegessen, so viel, dass man wegen der Dehnungsschmerzen stöhnt. Das ist nun mal so, sagten die alten Leute, das war immer so.

Da ging der Deus Menino los, denn er kannte ein Dorf an der Atlantikküste, wo man ein Bett für ihn gebaut hatte. Seit acht Jahren war er in das Dorf gekommen und hatte einen Stall vorgefunden, in dem eine Kuh und ein oder zwei Esel Wärme verbreiteten, wo Rosa ihre Zicklein und Schäflein und Hühner, Gänse, Enten hingebracht hatte, wo Morais warme Strohballen hingeschleppt hatte und Nene schönes Licht leuchten ließ. Ja, da würde man seinen Geburtstag feiern, Tonecas würde die Orgel spielen und die 10 Chorsänger würden ganz innig und laut singen. Da, in Carregosa wartete man sicher auf ihn.

So tippelte er los und staunte über die vielen neuen Häuser dort, die völlig leer und unbewohnt waren. Für wen bauten die Leute solche großen Häuser, sie hatten doch gar keine Kinder? Für wen waren die Autobahnen gedacht und für wen die Lichterketten in den Bäumen und an den Zäunen? Und wo waren die Plakate geblieben, mit denen zur Presepio Vivo eingeladen wurde? Ja, die Plakate. Die hatte der Pastore wieder alle einsammeln müssen.

Nun kam das liebe Gotteskind ins Dorf auf den Kirchplatz.
Der war in tiefes Dunkel gehüllt – und da war kein Stall und kein Kripplein und kein Mensch. Die Kirche war zugeschlossen und als der Deus Menino drinnen nach seiner Mutter fragte, sah er, dass die Frauen diesmal keine Krippenlandschaft mit dem Bächlein und dem Weg nach Bethlehem gebaut hatten. Unter dem Altartisch war allerdings eine himmelblaue Tüllwolke arrangiert, worin ein Engel und einige Krippenfiguren künstlerisch untergebracht waren.

Ja, wo waren denn die Menschen dieses Dorfes?
Sie saßen in ihren schön geputzten Häusern und aßen und tranken und packten Geschenke aus und aßen und tranken noch mehr und waren alle überfordert und hatten die Fernseher so laut gestellt, dass sie nicht hörten, wie das Jesuskind anklopfte.
Seine Mutter Maria wollte erst am nächsten Tag die Geburt des Christkindes feiern, in dieser Nacht sei es ihr nicht so Recht, sie habe Migräne, und Josef hatte ohnehin sehr geschwätzig gemeint, man sollte die Geburt einfach ausfallen lassen und erst nächstes Jahr wieder darauf zurück kommen. Es sei doch viel bequemer so.
Die Hirten hatten gar nicht erst hingehört, dass sie nach Bethlehem gehen sollten, sie hatten keine Lust, mitten in der Nacht einen Stall und ein Kind zu besichtigen. Darüber hatten sie sich gezankt und gestritten und blieben bei ihren Schafen.
Der oberste Heiligedreikönig saß im Kreise seines Hofstaates und aß Bacalhau und trank Spumante, er hatte keine Lust mehr zu regieren und noch weniger Lust auf irgendwelche Bitten zu reagieren. Er hatte die Ochsen und Esel um sich so satt und wollte keinen mehr im Stall anbeten. Der zweite König hatte sich überhaupt um nichts gekümmert, dem war Weihnachten sowas von wurscht, und der dritte war mitten im Bauen und schleppte Steine und Zement sogar noch am Weihnachtsmorgen, als die Glocken läuteten.
Weihnachten fiel aus.
Es hatte auch keiner dem anderen mitgeteilt, dass heute Weihnachten ist, denn die Väter waren auf dem Bau beschäftigt oder hingen im neuen Clubhaus am Tresen und im Café vor der Glotze, die Mütter kochten Essen, das keiner wollte, und die Kinder saßen einsam vor ihren Laptops und spielten Computerspiele, bei denen ein Christkind nur stört.
Es störte überall. Es störte im Haus des Chorleiters, wo man Besuch erwartete und weder Platz noch Zeit für den Deus Menino hatte. Vier Wochen hatte man ohne das Jesuskind gelebt, also brauchte man das heute erst recht nicht.
Das Kind begann zu weinen, weil der Organist kein Lied spielen wollte, weil keiner singen wollte, weil niemand einen Text gelernt hatte, weil keiner zu ihm kam, weil keiner in dieser Nacht bei ihm an der Krippe stehen wollte.
Das Christkind ging zum Padre und fragte dort, warum denn in Carregosa keiner Weihnachten feiere. Da hielt ihm der Padre einen langen Vortrag vom Untergang der Kulturen und dem Auf und Ab in der Geschichte des Christentums. Leider verstand der Deus Menino nichts davon, er wollte ja auch nur sein Kripplein und ein bisschen Liebe und Wärme haben.

Da ist das Christkind davongegangen, niemand weiß wohin.

Nun, liebes Publikum,
nun such dir selbst den Schluss.
Es muss ein Ende haben,
muss, muss, muss!

Eine Antwort

  1. Volkmar schreibt:

    "Da ist das Christkind davongegangen, niemand weiß wohin."

    Ja, wo mag es wohl hingegangen sein? Ich denke, es ist immer noch unterwegs und es trifft die Menschen, die auch "unterwegs" sind.

    Das Lied, das mich in dieser Zeit am meisten beschäftigt hat, ist die dritte Strophe aus dem Kinderlied "Still, still, still…". Ich habe meine Zither wieder hervorgeholt uns es für mich gespielt. Nicht einmal die tollen Darbietungen des Liedes im Fernsehen haben seine Aussage zerstören können:

    Groß, groß, groß,
    Die Lieb\’ ist übergroß.
    Gott hat den Himmelsthron verlassen
    und muß reisen auf der Straßen.
    Groß, groß, groß,
    Die Lieb\’ ist übergroß.

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