Dieser lange Heimweg

Verfasst am: 2. Oktober 2007 von Barbara 4 Kommentare

Dieser lange Heimweg

O meu caminho longo

Da sollte man meinen, in diesem kleinen Land ist man doch sofort zuhause, wenn das Flugzeug gelandet ist. So viel Platz gibt es doch gar nicht in Portugal, dass man da tagelang unterwegs sein muss. Wie auf Madeira, wo die Landebahn am Aeroporto künstlich mit Beton ins Meer hinaus gebaut wird, weil man an den Steilhängen doch überhaupt nicht ausrollen kann. Als Philipp mir das mal beschrieben hat, hab ich mir derartige Bremsmanöver der Piloten lebhaft ausgemalt. In Wirklichkeit ist das natürlich schon alles verbessert worden. Keiner fällt mehr ins Wasser, wenn er auf Madeira übers Ziel hinausschießt. (Dass ich da trotzdem"baden ging", ist eine ganz andere Geschichte.)

In Porto landeten wir also ganz pünktlich, die Zeit war auch "wie im Fluge" vergangen, dann hatten wir zudem noch 1 Stunde eingespart. Hallo, da sind wir wieder,  Montag morgens um 8:05. Und die Woche ist ganz neu und ganz unverbraucht.

Statt mit der Metro wollten wir mit einem Bus schnell zum Bahnhof flitzen. Also, nahmen wir so einen netten blauen Bus Linha 602 für 1,30 Euro. Er hatte gesagt, er fährt zum Bahnhof S. Bento, und wir sind ja Papst S. Bento und voll Vertrauen in blaue portugiesische Busse, Häuser, Augen, obwohl der Bus in die andere Richtung fuhr, naja, es war ein so schöner stiller Morgen, ganz warm, überall blühte die Bougainvillea. Der Bus hielt an jeder Ecke, jeder Mülltonne, jeder Haltestelle, "Proxima paragem" sagte eine Frauenstimme mit gleichbleibender Freundlichkeit. Wir fuhren durch ganz Maia, durch ganz Matosinhas, hörten viele Gespräche mit an, hörten hundert Handys und "Do"-Antworten, hörten tausendmal "Pois", betrachteten die Vorgärten, die Häuser mit heruntergelassenen Jalousien.
Es stimmt schon, wenn Frau Jadwiga sagt, die portugiesischen Senhoras haben alle Pumps und die Herren tragen richtige Schuhe, geputzte Lederschuhe, das war wirklich keine Turnschuhgesellschaft wie allüberall auf der Welt, wie z.B. im Flugzeug, wo eine ganze Studentengruppe der Maschinenbauschule aus München mitsamt ihren Surfbrettern nach Portugal zum Surfen flog. So schöne junge Menschen, aber alle mit diesem Gammel-Outfit.

Ach, diese Vorstädte am Montagmorgen. Diese portugiesischen Vorstädte, in denen die kleinen Leute wohnen. Echt, die "kleinen" Leute, der "kleine Mann" im abgetragenen Anzug, einersogar "raumfordernd" mit einem Lampenschirm, die kleinen zierlichen Frauen mit ihren großen Einkaufstaschen. Wir fuhren 1 Stunde durch die Vorstädte, immer leicht irritiert, und immer etwas weniger unruhig, wenn mal ein Richtungsweiser nach Porto zu sehen war, der in dieselbe Richtung zeigte, in die unser blauer Bus steuerte.

Allmählich wurden die Straßen enger,kamen mehr Mitfahrer, waren mehr Geschäfte zu sehen, lauter enge verstaubte Läden, in einem Schaufenster hingen 3 riesige Kronleuchter mit 16 Glühbirnen, wahrscheinlich für die Kirche, denn für enge Wohnungen waren die doch überdimensioniert, mir fiel ein, dass Heinz von jeder solcher Busreisen durch Porto einen Floh mitbringt, die Sonne schien kräftig, es wurde warm bis 26°, aber es gab keine Gerüche – das war ganz erstaunlich. Keine Parfüms, kein Zigarettenrauch, keine Ausdünstungen, kein Essensgeruch. Es war einfach ein ganz sauberer Morgen am Beginn der Woche, durch nichts verdorben, durch nichts verunreinigt, und die kleinen Leute waren ohne teure ätzende Parfüms, rauchten nicht, sie hatten "saubere Westen", noch kochte niemand Mittagessen, keiner briet oder dünstete Fisch – wie am Freitag in Portugal üblich.

Wir hielten an jeder Haltestelle an der langen geraden Straße zur Stadtmitte. Eine hübsche Studentin in Schwarz mit ihrer Capa und mit blassem ernsten Gesicht stieg ein, dann sagte die Stimme: "Proxima paragem Carolina Michaelis",  und wir sahen uns triumphierend an. Hagen fragte seinen Sitznachbarn, ob er Carolina Michaelis kennt, und der sagte: "Ja, das ist die nächste Haltestelle", so einfach lebt es sich mit der Geschichte.

Diese verfallenen Häuser, Fassaden mit zerbrochenen Azulejos, verrostete Balkongitter, zugenagelte Fenster, versiffte Hauseingänge, dunkle, nasse Wände – ich liebe diese Stadt, sie ist wunderschön.

Der Bus hielt am Clerigos-Turm, und wir wanderten zum Bahnhof hinunter. Lange Menschenschlangen warteten vor einem Schalter, um irgendwelche Tickets neu aufzuladen, aha, Monatsanfang, aber das System durchschaue ich nicht ganz.

Bis zum nächsten Urbano hatten wir noch 45 Minuten Zeit und tranken einen galao in der Sonne, redeten über die Passanten und die vielen Studentinnen und Studenten, alle in feierlichem Schwarz mit der Capa auf der Schulter.
Der Zug war bis auf den letzten Platz besetzt. So kam es, dass ein Bekannter aus Cacia – die Welt ist klein – sich neben Hagen niederließ und wir auf Deutsch die nächste Stunde lang gute Unterhaltung hatten. Der Zug hält an 23 Haltestellen und braucht mehr als 60 Minuten, fährt manchmal ganz nah am Strand entlang und höflich und leise und unaufdringlich.

In Aveiro stürzte Hagen gleich zum Taxistand, aber die anderen Reisenden waren wohl schneller gewesen oder aber die Taxifahrer machten Mittagspause, da war kein Taxi, jedenfalls standen wir mit unseren zwei Taschen dumm in der heißen Sonne und warteten eine Weile vergeblich.

Er habe am Ende der Avenida, da unten beim Verkehsamt an der Ria früher schon einmal einen Taxistand gesehen, behauptete Hagen und zog los. Und ich in der Mittagsglut hinterher. Wir waren nun schon mehr als 9 Stunden unterwegs oder auf dem Wege nach Hause, und das letzte Stückchen wurde das längste und beschwerlichste. So kurz vor dem Dorf – und da gab es nur Schwierigkeiten. Laatsch, laatsch. Diese Avenida ist elend lang, finde ich.

Ich kann wirklich nicht sagen, wie lange das alles gedauert hat, bis wir dann endlich vor dem Hoftor in unserem Dorf ankamen. Ich will es auch gar nicht mehr wissen. Ich kann keine Zeitangaben machen, weil meine Uhr stehen geblieben war, die Batterie gab seit dem Aufbruch nichts mehr her. Und ich dachte, dass das doch alles wunderbar zusammen passte: ohne Uhr, ohne Eile, ohne Panik, Drängen und Hektik in Portugal nach Hause zu kommen.

4 Antworten

  1. Harry schreibt:

    Liebe Barbara,

    Beim Lesen deines Berichtes fällt mir doch die alte ökonomische Weisheit ein, die heute im Medienzeitalter wieder hoch gehandelt wird, zum Beispiel von Norbert Bolz in seiner Vorlesung zur Theorie der Medien an der an der TU Berlin  im letzten Semester: "free has its cost": heutzutage gibt es keine wirklich günstigen Angebote, denn das was "frei" ist also nichts oder sehr wenig kostet, wird durch Aufwand von Zeit oder Begleitkosten doch wieder teuer. So ist der Flug Frankfurt-Hahn – Porto auch trotz 1 Cent plus Steuern durch die schwere Erreichbarkeit vor allem Hahns doch wieder teurer – bei uns kostete es z.B. eine Übernachtung im Hotel dort, da man um 5 Uhr am Flughafen sein muss.

    Aber – es ist ein Abenteuer und wo gibt es die noch außer in oder im Aufbruch nach Portugal, pois?

    P.S.: Sehr empfehlenswerter aktueller Kulturtipp: der Film "Salvador" mit Daniel Brühl.

  2. Volkmar schreibt:

    Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die langen Wartezeiten zu vermeiden, – wenn man das denn will und dafür auf die Eindrücke verzichtet, die man beim Reisen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und per pedes bekommt:

    Das eigene Auto am Flugplatz parken. Das frisst zwar einen Teil des eingesparten Billigtickets auf. Lohnt aber manchmal. Aber auch Linien mit großen Namen fliegen zu unchristlichen Zeiten von dem Flughafen Porto ab und kommen dort an.

    Oder sich bringen und abholen lassen.
    Müsste man allerdings auch wieder irgendwie "gutmachen".

    Übrigens ist es auch in der Weltstadt Paris teuer und schwierig, z. b. nach Orly zu kommen, wenn man an der Gare du Nord ankommt. Fliegen ist ja schön, aber grundsätzlich gilt, dass die Anreise (und Abreise nach dem Landen), das Einchecken usw. viel zu lange dauert im Vergleich zum Flug selbst.

  3. B. schreibt:

    Ich vergaß noch etwas:
    Auf dieser Rückreise habe ich nirgendwo eine Uhr gesehen. Und meine Armbanduhr war stehen geblieben.
    Im blauen Stadtbus oder Vorstadtbus – keine Uhr.
    In den Straßen, an den Kirchtürmen und Rathäusern und an den Haltestellen – keine Uhr.
    Auf dem Bahnhof S. Bento und in Aveiro gab es keine Uhr.
    Niemand von den Leuten, die einstiegen, hatte eine Uhr.
    Nirgends stand eine Digitalanzeige.
    Und nirgends war so eine alte schmiedeeiserne Bahnhofsuhr mit rundem Ziffernblatt zu sehen.
    Auf dem Weg durch Aveiro war keine UHr,
    und der Taxifahrer hatte ein ganz altes ausgeleiertes Vehikel, auf dessen Armaturenbrett gab es keine Uhrzeit, nur eine "schwarze Box", die den Preis anzeigte, wobei das Ding mit 3,25 Euro zu zählen begann und unterwegs mehrmals aussetzte.
    Eine geruchlose und zeitlose Reise.

    Ich dachte, es ist wie im Traum.
    In Träumen werden doch auch ganz andere Sinne angesprochen als in der Realität.
    In Träumen gibt es keine Gerüche.
    In Träumen gibt es keine reale Zeitmessung.
    In Träume

  4. Heiko schreibt:

    ….zum Träumen gibt es die Alfa Pendular und Intercidades Services ab Porto Campanha. Und wenn man(n)/frau darüber hinaus noch Comforto reist, werden Träume auch zur Realität.

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