Via Sacra III

Verfasst am: 6. Mai 2007 von Barbara Keine Kommentare

Via Sacra
3. Teil

Unter den Palmen und auf dem gepflegten Kunstrasen in Marios Vorgarten wurde  nun Jesus von allen wirklich spürbar verlassen: So fremdund allein und verloren muss er sich wirklich gefühlt haben. Die Jünger zogen sich zurück und schliefen, die Leute gafften hinter dem Zaun, es regnete, die Soldaten kamen, der Verräter umarmte seinen Herrn und keiner griff ein, nicht mal der laut Drehbuch zornige Petrus kam zum Zuge und hieb einem der Söldner das Ohr ab, irgendwie ging die Szene unter. Vielleicht auch, weil wir uns unterhielten. Wir standen neben dem freundlichen alten Padre, der das Geschehen wohlwollend begleitete und sich nicht genug wundern konnte, dass die Dorfgemeinschaft so echt und innig die Geschichte miterlebte. Hat man denn so was je für möglich gehalten in der heutigen Zeit?

Irgendwie hatte ich immerzu den Text aus Bachs Matthäus-Passion im Ohr und wunderte mich, dass keine Arie und kein Choral erklangen und die Sätze, die fielen, portugiesisch waren.

Dann wurde Jesus mit viel "Anda! Anda!" und Hohngelächter zum Haus des Pilatus geschleppt und dort verurteilt. Und die vielen Zuschauer liefen eilig hinterher, schubsten und drängelten, um einen guten Platz zu ergattern und gafften und starrten. Das war sehr wirklichkeitsnah, wirklich, o ja.

Atemlose Stille bei der Geißelung.

Manche Frauen weinten. Der schöne nackte Jüngling zuckte unter den Hieben zusammen. Die Ruten hatte man vorher in rote Farbe getaucht. Es sah furchtbar aus, und die Älteren seufzten immer wieder: "Ai, Jesus!" Sehr majestätisch saß der Hauptmann an seinem Tisch und erteilte die Befehle, das war die Rolle seines Lebens. Auf seinem Helm hatte man in Ermanglung eines Federbusches den neonfarbenen Staubwedel gebunden, den ich auch bei den Heiligen Drei Königen verwende, was den Auftritt hier wie dort einfach lächerlich macht. Aber das merkte keiner, am wenigsten der, der sich damit schmückt.

Die Söhne Carregosas als Henkersknechte und Peiniger, als blöde Funktionäre und brutale Soldaten, also – mir wurde dabei doch ganz anders zumute. Außerdem – es war so realistisch. Und würden die da wirklich mitmachen, wenn ein Unschuldiger gejagt und hingerichtet wird?

Dann wanderte die ganze Meute zum Wegkreuz, dem Marmor-Schandpfahl, wo statt I.N.R.I immer noch steht: "Festausschuss 2005", wie passend! Und dort wurde Jesus das Kreuz auf die Schulter gelegt, und alle wanderten mit Fackeln und Lichtern ins untere Dorf hinunter, auf dem Prozessionsweg entlang von Kreuzstation zu Kreuzstation. Dort las Toni jeweils die passenden Textstellen vor, die Mitspieler agierten dementsprechend – Jesus stürzte, Simon von Kyrene übernahm das Kreuz, die Frauen weinten – bis nach langer banger Zeit der Hügel Golgatha erreicht war und die Kreuzigung vorgenommen werden konnte.
Mit dieser letzten Formulierung habe ich mich einfach in die nüchterne Bürosprache geflüchtet, denn das Geschehen war so realistisch und ging mir derart an die Nieren, dass ich nur noch überlegte, wie ich heil und vor allem baldigst da vom Platz fortkomme…

"Und  in der Todesstunde  verfinsterte sich der Himmel… die Erde erbebte, die Felsen zerrissen…" ("Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden… Eröffne den feurigen Rachen, o Hölle…") … Jetzt kam Nenes Glanzstück: Die große Show mit Donnerrollen und Trockeneis! Es krachte, tobte, zischte, und hinter den Kreuzen qualmten weiße Wolken wie auf den großen Show-Bühnen.  O großes beeindruckendes Spektakel!!
Und es war schon 1 Uhr, halb zwei, lange war Mitternacht vorbei.
Es hatte zu nieseln aufgehört.
Man fror nur noch vor Entsetzen und Müdigkeit.

Grablegung, Beweinung.

Ach, ich bleibe noch, um mein Herz mit der Auferstehungshoffnung zu stärken. Gleich wird Renato, der Engel der Osternacht, erscheinen, die niedliche  kleine Liliana und der niedliche kleineRodrigo als Engel werden ihn begleiten, und Renato wird die Flügel ausbreiten und sagen: "Fürchtet euch nicht. Jesus ist nicht hier. Er ist auferstanden."

Als das geschehen war, ging der Padre in die Kirche, und alle hinterher, und es war kein Weg frei für den auferstandenen Jesus in weißen Kleidern, der sich da mühsam durch die Massen quälte.

Da ging ich endlich nach Hause.
Beinahe wie Petrus.
"Und ging hinaus….
und weinte bitterlich."

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