Silberhochzeit

Verfasst am: 17. Dezember 2006 von Barbara Keine Kommentare

Silberhochzeit im Dorf
Schon seit Wochen wurde im Chor eifrig getuschelt und debattiert, einer hat ja immer Geburtstag und soll beschenkt werden. Dazu wird dann Geld eingesammelt und furchtbar viel beratschlagt, was wann warum wo gekauft wird. Aber diesmal war das Tuscheln besonders ausdauernd und bezog auch den Chorleiter mit ein, der immer seine Erwägungen lauthals anstellte und aussprach und damit allgemeines Entsetzen auslöste, denn irgendwas sollte für irgendwen eine Überraschung werden.
Wir kamen allerdings nicht ganz dahinter, wer der Jubilar sein würde. Unsere Sangesbrüder und –schwestern denken wohl, wir verstehen ihr Genuschel und ihre Dorf-Idiomatik so wie sie selbst. Aber wir fragen tapfer immer wieder: "Wann soll das sein? Wer hat Hochzeit? Wer ist das, wessen Sohn (alle heißen Joao) oder wessen Tochter (alle heißen schließlich Maria)? Wann üben wir?" Und meistens kommen wir dann doch nicht zu dem irgendwie vereinbarten Zeitpunkt, denn solche Vereinbarungen laufen so wie bei dem Spiel "Stille Post".
Immerhin hatten wir jetzt mitgekriegt, dass Gloria und Joao Carlos Silberhochzeit haben. "Was, wirklich, schon? Du siehst doch aus wie ein junges Mädchen!"

Wir kamen auch pünktlich zur Chorprobe außerhalb der sonstigen Probentermine. Ich finde, es ist ein Zeichen von hoher Intelligenz, dass wir aus dem Getuschel und Genuschel manchmal das Körnlein Wahrheit und Terminlichkeit entnehmen. Und besonders intelligent war es, aus dem Zahlenvorrat der aufgeschriebenen Liedernummern das Programm für die Silberhochzeitsfeier und für den Sonntagsgottesdienst zu entnehmen. Der Chorleiter übte nämlich alles durcheinander. Stimmte mal dieses und mal jenes Lied an, ließ uns drei Takte singen, sagte : "Nein, das ist nicht gut!", stimmte ein neues an, ging zum nächsten über, ohne zu sagen, ob das eine Lied nun bleibt oder nicht. Und ich schrieb alle 12 bis 23 Liedernummern auf und die Psalmverse dazu, obwohl mir keiner sagt, wie das richtig heißt:  "Idosos os que temem o Senhor" oder "Ditosos os que …" (Lösung: Natürlich heißt es Ditosos. Hihi. ) Und ich dachte, dass das wohl besser zur Silberhochzeit passt als der Satz "Freut euch, denn der Herr kommt, Halleluja". Und wenn alle auswendig schmettern: "Baut euer Haus auf Felsen", dann weiß man doch als gelernte Pfarrfrau, dass das irgendwie mit Silberhochzeit und Hausstand und weniger mit Advent zu tun hat.
"Diktier mir mal den Text, den ihr da singt", bat ich meine Nachbarin im Chor, und sie sagte laut: " Construi vossa casa sobre mesa …"
Nun ahnst du vielleicht, was Frauen hier so im Kopf haben müssen, wenn ein Fest bevorsteht.

Die Silberhochzeit stand uns also am Sonnabend bevor.

Und ich hatte Zahnschmerzen (wegen der "Inkarnation" und der archäologischen Ausgrabung des inkarnierten Objekts), musste aber um 3 Uhr zur Messe, weil wir Glorias Silberhochzeit feiern und besingen wollten.
Es war wunderschön und feierlich, die Kapelle war mit Gold, weißen Schleiern, roten Rosen und Kerzen geschmückt, und alle mussten weinen vor Glück über so viel Liebe und Treue. Und es gab Küsse ohne Ende. Ich möchte so gerne, dass du mal eine Carregoseanische Festa mitmachst, das  ist wirklich etwas Besonderes.

Wir hatten unsere Chorkleidung an, und Gitarren und Trommeln und Harmonium begleiteten unsere gefühlvollen Gesänge unter dem milden Blick von Padre Reitor Antonio .
Dann fuhren wir alle ins Hochzeitshaus an die gedeckten Tische, es gab die herrlichsten Sachen, Camaroes und petiscos und leitao und köstlichen Käse und … Und alle aßen so fröhlich und viel und ohne sich zu zieren. Dazu Sekt und schwerer Wein.
Auf einer anderen Tafel standen Tonschüsseln mit Hirschbraten, dazu Gemüse und Salat, im Nebenraum brach eine Tafel voll Kuchen, Torten, Eisbomben, Schmand und Pudding fast zusammen.

Und als wir alle genug gespachtelt hatten, wurden wir lustig und machten herrliche Musik mit Tannenzapfen und Akkordeon und Gitarren, die Männer und Frauen singen alle aus voller Kehle und frischer Brust. Und sie tanzten und klatschten und lachten und machten Polonäse durch alle Räume .

In einer Pause wurde die 1qm große Hochzeitstorte mit Spumante verteilt. Und  das Schmausen, Tanzen und Singen nahm kein Ende.
Endlich wollten wir  gehen, Pompilio und Manuel warteten schon ungeduldig, aber da kam ein Ukrainer, der Mitarbeiter des Silberbräutigams, und fragte Hagen nach der Bedeutung von INRI auf dem Kreuz, bei ihnen heiße es anders (statt Rex wohl Zar), nun folgten also große Reden unter großen Männern, der Ukrainer ist bestimmt 2 m groß und 5 Zentner schwer. Hagen sagte, ich könne noch "a weng Russisch" und holte mich herbei, also hub ich an zu singen, da hat der Riese mitgeschmettert, dass allen die Ohren flatterten. Nur wer die russische Seele kennt, weiß, was jetzt kommt, bei Strofe 2 griff er mich und schwenkte mich zum Tanze, dann ging es in Kaukasischen Walzer oder Tscherkessentanz über und endete in stürmischer Umarmung unter brausendem Beifall,
Ach, bei so einem Koloss an der Brust biste ganz klein und zierlich, ein herrliches Gefühl.

Übrigens, die Zahnschmerzen waren völlig vergessen. Uns beunruhigte nach diesem wunderschönen Familienfest nur eine Frage:  Es ist sooo viel übrig geblieben, was machen die denn nur damit? Aber Arcelina lachte und sagte: "Das schaffen die schon. Das ist morgen alles weg."

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