Trivialliteratur, portug.

Verfasst am: 27. Juli 2006 von Barbara Keine Kommentare

Portugiesische Trivialliteratur

Im unschuldigen Übungsheft des unschuldigen Klavierschülers stehen auf der letzten Seite Hinweise auf weitere Notenbücher und Klavierschulen vom Verfasser und Herausgeber Eurico Augusto Cebolo.  Der unschuldige Schüler hatte von seiner unschuldigen Klavierlehrerin das erste und nun schon dieses zweite Notenbüchlein (für Fortgeschrittene) bekommen und fleißig geübt und bis zur letzten Etüde gespielt. Er war nunmehr beim Schlussstück angekommen, als sein unschuldiger Blick auf die letzte Seite mit reizenden Bildchen fiel, auf der "Werke desselben Autors" angepriesen wurden.

Staunend las er, dass E.A. Cebolo noch die eine und andere "Romance" in einer Auflagenhöhe von 5.000 Exemplaren verfasst hatte. Noch staunender las er die Titel derselben:
A Filha do Padre
Casei com a minha Irmã
A Prostituta Virgem
Matavam as Freiras Grávidas
Er las, dass es eine Romance über eine verfluchte Zigeunerin gbt, eine Neufassung von "Qua vadis?" mit dem Titel Cruz de Fogo, und es wurde ihm angst und bange und schwarz vor Augen, als er die letzten Titel las:
O Falo Perdido
O Vialador das Mortas

Nachdem der unschuldige Klavierschüler die jeweilige Inhaltsangabe gelesen hatte, rieb er sich die Augen, die soviel Schande und Sünde gesehen hatten, wischte sich den Schweiß von der Stirn und rief seine Freunde zu Hilfe.

"Darf denn das sein?"
"Kann man denn dergleichen Literatur in die Hand eines braven Kindes geben?"
"Wie kann die portugiesische Musikwelt solche Trivialliteratur (sprich Schundromane) im Notenbüchlein der Maria Magdalena Ribeiro empfehlen?"

Man beratschlagte nicht lange, denn der pädagogisch und portugiesisch geschulte Freund Heinz ergriff "den Stier bei den Hörnern" bzw. die Initiative in Gestalt der unschuldigen Klavierübungshefte, suchte die unten angebene Adresse des Autors heraus und trat auf den Plan, will sagen mit diesem in Kontakt und bei ihm auf.

Nun musst du wissen, dass Heinz die extremsten Dinge entdeckt, herausfindet und zu erklären weiß, dass solcherlei Irritationen geradezu sein Steckenpferd sind, dass unergründliche und unerfindliche Dinge namentlich in Portugal eine Herausforderung für ihn sind und sein Leben voll interessanter Begegnungen, Entdeckungen und Sonderlichkeiten steckt.

So fuhr man also zu Herrn Eurico A. Cebolo.

Der lebt nun aber nicht wie erwartet in einem Spitzwegschen Dachstübchen, wo er seine Romancen schreibt, sondern ist Inhaber einer stattlichen Musikalienhandlung, wenn auch dort nicht anzutreffen. Anzutreffen war allerdings das Personal, das zwar verwundert über den nicht alltäglichen Wunsch und die Nachfrage nach der verheißungsvollen Literatur, aber doch geflissentlich ins Lager eilte, um den Buchwunsch nach der "Tochter des Padre" zu erfüllen.

Schließlich fühlten wir uns der sache verpflichtet. Nachdem wir den "Seltsamen Tod eines Padre" aufgeklärt oder vielmehr im Sinne der Kirche verschleiert und zum Guten gewendet hatten, wollten wir uns nun auch weiteren Enthüllungen stellen. Zumal wir von vorneherein an die Unschuld des Padre Januário glauben, dem man nachsagt, er habe eine Tochter und stehle die Preziosen einer reichen Familie. Ist doch üble Nachrede!

Nach einer Vierstelstunde brachte die Angestellte der Muikalienhandlung dann auch das dicke Werk herbei, 310 Seiten stark, Glanzfolie, bunter Umschlag, einige bunte Bilder, Preis 8,00 Euro.
"Na, gut. Vielen Dank. Aber ich würde doch gerne einmal das  Buch "O Falo Perdido" sehen. "
Die Angestellte druckste herum. Nein, das wolle sie lieber nicht herausgeben. Es sei ein erzieherisch sehr wertvolles Buch, aber nicht für jedermann. Hier würde Senhor Cebolo nun also nackte Tatsachen offenbaren, die Fälle basieren alle auf wirklichem Geschehen, Senhor C. habe in der Lebensbeichte eines Betroffenen aus eigenem Munde davon gehört und in abschreckender Weise berichtet und von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch geschrieben, um vor Pädophilie und anderen sündhaften Verbechen zu warnen.
"Ja, ich weiß", sagte der Leiter unserer Expedition und des Trivial-Literatur-Ausschusses, "nur damit kann ich die Veröffentlichung dieser Romane in einem Heft für Klavierschüler auch erklären. Sie nahm mich fürwahr wunder. Und nun geben Sie mir bitte dieses Buch. Ja, genau dies."

Man tat es, zögernd, widerwillig und nach langem Suchen, was ja verkaufsstrategisch optimal ist.

Die Lesestunde, die nun  auf dem Hof im Kreise unserer Lieben folgte, war auf der Gefühlsskala sensationell: Man fiel fast vom Hocker vor Belustigung oder Angewidertsein, fiel in Ohnmacht, lachte sich schief, schüttelte sich vor Abscheu, hielt sich die Ohren zu, schrie: Nein, das glaub ich nicht!, Steht das da wirklich?, kicherte verlegen, schüttelte den Kopf, staunte über die so meisterhaft beherrschte Kunst des Schreibens eines Trivial-Romans allerersten Kalibers (Rettet des Genitivs!)…

Und ich kann nun leider nicht weiterschreiben, weil ich mich eben, als ich ein paar Fakten im vorliegenden Werk überprüfen wollte, festgelesen habe…

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