Konzert am 25.6.2006

Verfasst am: 26. Juni 2006 von Barbara Keine Kommentare

Das Konzert am 25.6.2006

Nach allen diesen Vorbereitungen sollte  nun abends um 21.30 Uhr das Jubiläumskonzert der Parochie Ouca steigen. Und genau an diesem Abend fand auch das Achtelfinale zwischen Portugal und Holland statt. Aber das ist hier kein Problem, man setzt die Prioritäten schon lange dergestalt, dass erst das Fußballspiel und dann alles andere kommt. Früher wollten alle Menschen in den Himmel kommen, heute ist das genau so, bloß der Weg ist anders, nämlich über die Weltmeisterschaft. Es genügt ja wohl, wenn man erstmal in den SiebtenHimmel kommt. (Wie, gibt es da noch mehr??)

Um halb 5 kam der Chef vom Textilladen vorgefahen in dringenden Angelegenheiten und tauschte Hagens hellblaue, aber zu sehr hellblaue Krawatte gegen eine dunkler hellblauere um, die im Ton doch wohl eher passe. Ich bin immer noch leicht amüsiert über diese "wichtigen" Details.

Dann begann das K.o.-Spiel, das nun ja wohl jeden aufregen musste. Tritt der Hollandsmann in den ersten Spielminuten doch unseren Liebling Cristiano Ronaldo so mit seinen Spikes, dass der aus dem Spiel herausgenommen werden muss! Und da sitzt er nun und weint und versteht die Welt nicht mehr. Es sollte sein Spiel werden. Ganz Portugal schrie auf! Der Liebling der Nation wurde brutal verletzt! Und seine enttäuschten Kinderaugen voll Wasser haben wir nach der Niederlage bei der EM noch immer nicht vergessen! Das war so ein Schmerz. Das sollte uns doch nie mehr passieren, wünschten wir uns. Jetzt müssen wir beten, meine Lieben! Und dieser Schiri, der eine gelbe Karte nach der anderen zeigt, ja, hat man denn sowas schon gesehen? Gleich muss Maniche, muss Castinho, muss Deco ganz raus…

Und dann fiel das Tor.
1:0 für Portugal.
Und dann kam die Halbzeit, komm, schnell, wir fahren los. Das Treffen ist in der Kirche in Ouca um 21 Uhr. Dann können wir die 2. Halbzeit dort sehen!

Auf dem Platz vor der Kirche saßen und standen Hunderte von Fans, viele schreiende Kinder, gedeckte Tische, Bratwurstgeruch, Fahnen, Tüchergewedel, Empörungsgemurmel, Hin-und Hergerenne, Aufheulen bei jedem Fehlschuss. Die Sänger der anderen 3 Chöre kamen in ihren Festkleidern dazu. Der alte Padre kam und blickte freundlich lächelnd auf seine große aufgelöste Herde und auf den Fernseher, der den Krieg auf dem Rasen zeigte und kommentierte. Die Männer schrien und feuerten die Spieler an, 2000 km von hier entfernt, aber sie haben es sicher gehört. Ja, Figo, zeig es denen, los, mach sie zu Hackfleisch, bevor sie euch kaputt machen, neinneinnein, wir spielen nur noch mit 9 Mann, Hilfe, Hilfe, o Nossa Senhora!

Meine Güte, welche Erleichterung, als dieses brutale Spiel aus war. Aus! Aus! Aus! Und wir sind im Viertelfinale. Alle fallen sich in die Arme und fallen erschöpft und heiser auf den nächsten Plastikstuhl.

Und nun können wir endlich in den Saal einziehen, das Konzert beginnt. Von Einsingen ist nicht mehr die Rede. Aber schön sehen wir alle aus, kaum wiederzuerkennen. Die Frauen sind so nett geschminkt und frisiert. Jetzt sehen wir uns alle lächelnd an, nachdem wir ja stundenlang nur auf die Beine der Helden geschaut haben. Doch, unser Chor ist der stattlichste und größte und am schönsten dekorierte. Alle Damen tragen die türkisfarbene Schärpe, die mit der glitzernden Brosche festgehalten ist,  über der linken Schulter, halten links ihr schwarzes Liederheft und lächeln.

Zunächst hören wir artig den anderen Chören zu, die jeweils 3 "profane" und 3 "religiöse" Lieder singen. Zu den religiösen des Chores aus Calvão gehört auch der 4stimmige Satz "Herr, deine Gute reicht so weit der Himmel ist", (woher kenne ich den eigentlich?), sie singen gef-u-hlvoll immer von der "G-u-te" Gottes. Wir klatschen hinter jedem Lied, hinter jeder Ansage, hinter jedem Grußwort und auch dann noch, wenn der alte Padre auf die B-u-hne steigt und freundlich dankt. Er sagt, wir sollten doch nicht ihm gratulieren, sondern der Kirche, die ihr 50jähriges Jubiläum hat.

Das Kletteräffchen ist auch wieder da und hopst auf der Bühne und zwischen den Stuhlreihen herum. Sie hat einen Lolli im Mund wie Kojak, eine Wasserflasche in der einen, einen Fettkrapfen in der anderen Hand und saust hin und her. Irgendwie hat sie entdeckt, dass der Padre die Hauptperson ist und klettert auf seinen Schoß, umarmt ihn, saust wieder weg, umarmt ihn bei jedem Vorbeigehen und zieht ihn beinahe vom Stuhl herunter. Die Frauen neben ihm schreien erschrocken und halten ihn fest.

Dann sind wir dran. Hinter dem Bühnenvorhang bauen wir uns auf, der Chorleiter schwitzt und ist furchtbar aufgeregt. Vorhang auf, Applaus, und nun gibt er uns den Ton an für das Ave Maria, ich weiß nicht, woher er dieses a gefischt hat, aus welcher untersten Schublade das kommt. Trotzdem singen wir los, das Publikum lauscht still, denn es ist ja ein Gebet.

Wahrscheinlich ist das Gebet auch erhört worden, denn beim nächsten Lied ist der Chor ganz sicher und singt sich frei, und beim dritten Lied ist die Stimmgabel weg, verschwunden, wo hat er die hingelegt?, aber da brauchen wir gar keinen Anfangston mehr und keinen Dirigenten, da sind wir frisch und fröhlich dabei und schaffen auch noch die lustigen 3 letzten Lieder und nehmen die Huldigungen entgegen. Ist ja wahr, dieser Kirchenchor war ganz kaputt gewesen, die hatten jahrelang keinen, hatten sich verzankt, hatten sich gespalten, und nun ist plötzlich wieder so ein schöner großer junger (doch ehrlich, wir haben sehr viele junge Gesichter dabei) Chor entstanden oder auferstanden, das ist doch die wahre Freude.

Deshalb stehen zum Schluss alle strahlend da, die Mutter des Chorleiters weint vor Glück und Dankbarkeit, das Publikum erhebt sich, alle haben feuchte Augen, Hand aufs Herz, singen die Nationalhymne: "As armas, as armas!"

Wir sind die Sieger.

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