Mein Dorf am Pranger

Verfasst am: 9. Juni 2006 von Barbara Keine Kommentare

Nun hat sich mein Dorf selbst an den Pranger gestellt.

Der amtierende Festausschuss der abgelaufenen Saison hat einmal wieder so viel Geld gesammelt und erwirtschaftet, dass neue Devotionalien, Kultgegenstände und schmückendes Beiwerk für die Kapelle angeschafft werden können. Wir sehen diesen Geschmackskapriolen und Frömmigkeitsauswüchsen immer mit Zittern und Zagen entgegen, weil wir nicht ganz die Begeisterung für goldstrotzende und überladene Dorfkapellen teilen.

Erinnerst du dich noch an unseren ersten Schock, als wir die Kirche S. Francisco in Porto betraten? Man bedenke: Eine Kirche, die dem armen bescheidenen Franziskus geweiht ist! Wer erwartet da schon Protz, Prunk und Prangen?
Es war aber so – es ist immer noch so: S. Francisco ist dermaßen barock überladen und mit Gold bis in den kleinsten Schnörkel ausgestattet, dass es einem nicht nur die Sprache, sondern auch den Atem verschlägt. Mannomann.
Und das finden "die" schön.

Aber bitte nicht hier im Dorf, bitte nicht noch mehr Zeug in die Kirche schleppen. Die hölzernen gedrechselten Säulen am Altar, die die Kerzen tragen, sind das Letzte, was noch ging, bevor man die Kirche wegen Überfülle schließen muss. Bloß nicht noch mehr hereintragen!

Na gut, die Mordomos blieben diesmal wirklich draußen vor der Tür mit ihren Verschönerungsmaßnahmen. Sie errichteten auf dem Kirchplatz einen Maibaum, der in der Passionszeit als Kreuz umgestaltet wurde, daneben rechts und links ein weiteres Kreuz zur Erinnerung an den Hügel Golgatha, der sich aber auf dem ansteigenden Feldrain, 20 m weiter, noch einmal "naturgetreu" wiederfand. Dort standen in dem weiß blühenden Kohl die drei Kreuze für die Via sacra.

Das weithin leichtende Neonkreuz hoch oben auf der Kirchturmspitze hatte der Ausschuss des Jahres 2004 schon aufgepflanzt.

Wo könnte man denn noch…?

Also wurden Vorkehrungen getroffen, an markanter Stelle im Dorf ein großes Kreuz zu errichten, so wie "die in Ouca" das an der großen Wegkreuzung haben. Genau das wollen wir hier auch haben, nur noch schöner, größer, besser, ist ja klar. Und nicht aus Marmor, das ist viel zu empfindlich, nein, am besten aus vidraço, das ist was für die Ewigkeit.

Als Standort wurde das Plätzchen an der Weggabelung ausgesucht, wo es rechts nach Ouca, links nach Albergue (und zur Rua do canto!) geht, wo die Prozession eine Kehrtwende macht, wo der Bus hält und wo man vom Supermercado aus alles im Blick hat. Ein guter Platz, da stapelte man also die Materialien für den Sockel und für das große Kreuz. Wir waren froh gespannt. Jedes Dorf hat hier an seinem "öffentlichen Platz" ein solches Kreuz, und was den andern recht ist, soll uns billig sein.

Was soll denn das nun eigentlich werden?
Ein Kreuz oder ein "pelourinho", ein Pranger?
Oder ist das dasselbe?

Ein Pelourinho ist eine steinerne Säule, auf einem Praça Pública errichtet, an die im Mittelalter die Übeltäter mit einem Halseisen angeschlossen und öffentlich ausgeschimpft (geschändet oder "geschennt", wie die Pfälzer sagen) und angeprangert wurden. Das portugiesische Wort soll mit dem französischen Pilori verwandt sein, vielleicht von lateinisch pilar kommend.
Im Deutschen ist der Pelourinho als "Pranger" bekannt. Eine Bestrafung am Pranger, an der öffentlichen Schandsäule oder am Schandpfahl, wird in der Bamberger Halsgerichtsordnung um 1507 erwähnt. In Städten mit gut erhaltenem mittelalterlichen Marktplatz habe ich diese Säule schon oft gesehen

Diese schön gestalteten Säulen mit dem Eisenring zum Anketten der Schurken gibt es natürlich auch in vielen portugiesischen Dörfern vor dem Ratshaus oder auf dem Marktplatz zu bewundern.

Aber seit wann haben sie die Form des Kreuzes?

Ich kann mir ja erklären, dass fromme Christen dürch diese Kreuze ausdrücken wollten, dass der Herr damals so behandelt wurde wie ein Verbrecher und dass er leiden musste wie einer, der in Ketten am Schandpfahl litt.

Vielleicht soll so ein Kreuz an der Weggabelung auch ein Hinweis darauf sein, die richtige Entscheidung für den Lebensweg zu fällen.

Kreuz oder Pranger oder Wegweiser –

Zum Nachdenken bringt mich allerdings vor allem die Inschrift in der Mitte der Kreuzbalken, da, wo eigentlich der Kruzifixus hängt, wo der Kopf des Angeprangerten war, den jeder Vorübergehende bespucken und verhöhnen durfte, oder wo sein Verbrechen angeschlagen steht:

Auf dem Pelourinho in unserem Dorf steht
Comissão da Festa 2005

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