Das Krippenspiel 2005/ 1.

Verfasst am: 22. Dezember 2005 von Barbara Keine Kommentare

Das Krippenspiel im Dorf, 7. Ausgabe

Ein Drama in 5 Akten
(Exposition, Steigerung, Höhepunkt, fallende Handlung, Katastrophe)

1.
Eigentlich war alles klar, als wir Anfang November nach Deutschland reisten. Wir würden zum Krippenspiel ein passendes Baby – einen kleinen Jungen – haben, alle würden bereitwillig mitspielen, alle waren sich einig, der Chorleiter Tonecas hatte sogar mit den vereinten Chören von Ouca und Carregosa schon das Wiegenlied von Evora vierstimmig eingeübt – also, wir konnten uns auf alle verlassen und fuhren los. Und kriegten die Magen-Darmgrippe und kriegten Schnee und Glatteis und kriegten keine Winterreifen und kriegten von dem ganzen Einkaufsrummel derart die Nase voll und kriegten die Kurve und kamen rechtzeitig wieder in unser Dorf zurück.

Gleich nach der 2 Tage langen Fahrt liefen wir zur Chorprobe, umarmten alle voller Freude, verteilten unsere Mitbringsel, warteten eine Stunde auf den Chorleiter, der aber nicht kam, und erfuhren aus dem leisen Gezischel und Geflüster von Mariauguschte, dass diesmal das weihnachtliche Krippenspiel am 1. Weihnachtsfeiertag nachmittags stattfinden müsse, weil sie ihre Familie zum Essen eingeladen habe. Aber das hat sie in den 6 Jahren vorher auch immer gesagt und dann doch anders gemacht.
Noch lachten wir und zerstreuten ihre Bedenken: Also, liebe Mariauguschte, du weißt doch… Die "Stille Nacht, heilige Nacht" ist nun mal in der Nacht. Die Hirten lagen im Felde bei Nacht, so steht es im Lukasevangelium. Hör auf mit deinem Bacalhau.
Der Wermutstropfen allerdings war schon deutlich herauszuschmecken, er begann zu wirken und vergiftete den Freudentrunk.

Am nächsten Tag kam der Chorleiter und reparierte unsere Steuerung für die Heizung und sagte nebenbei, er habe ja das neue Haus und am 24. Dezember die ganze Verwandtschaft zum Essen eingeladen. Das sei so Tradition.  Das Krippenspiel  muss am Weihnachtstag nachmittags stattfinden. In der Nacht könne er nicht spielen.

Am Sonntag nach der Messe fragte Hagen ihn noch einmal: "Ist das deine definitive Auskunft?"
"Ja, ich kann in der Heiligen Nacht nicht spielen. Wegen der Tradition. Die Tradition in Portugal ist, dass man am Heiligabend ein großes Familienessen hat und fernsieht."
Wir diskutierten gar nicht weiter über solche fragwürdigen Traditionen, sondern nahmen die Flasche Geropiga, die uns der alte Sakristan zum Willkommen überreichte, dankend in Empfang, und fragten gestärkt und ermutigt umgehend den Organisten aus dem Nachbardorf, ob er als Vertretung kommen könne. Er sagte sofort zu.

Schließlich sind "wir" doch jetzt Papst.
Warum respektiert das niemand und teilt unsere guten Bemühungen um dieses Dorf denn nicht?
Und können denn zerkochter Bacalhau und zerkochter Blumenkohl ( wie Barbara den Weihnachtsfraß schrecklich vor unsere Augen malte) wirklich gegen das Jesuskind antreten?

Über den Begriff "Tradition" will ich mich gar nicht auslassen, denn dazu fällt mir ganz besonders dieses Aufsatzthema ein, das ich der Klasse in Konstanz stellte:  Damals, vor fast 40 Jahren… Ich als junge Assessorin aus NRW.  Mein erster Aufsatz am Suso-Gymnasium ! Sollte ein dialektischer Aufsatz werden. Das Thema hieß:
Tradition ist Weitertragen der Flamme, nicht Hüten der Asche.

Kein einziger Schüler konnte etwas damit anfangen. Sie kauten auf ihrem Füller, stöhnten abgrundtief, schauten mit leeren Augen ratlos herum … Ich musste mir auf der Stelle und vor Ort ein neues Thema ausdenken.

Seitdem verfolgt mich dieses Thema.

Und wieder denke ich: Fressen am Heiligabend ist doch "Hüten der Asche", oder? Da habe ich so Angst um Portugal und den Verlust der wahren Werte. Versteht das denn keiner? Der Padre hat uns damals, vor 7 Jahren schon gesagt, wie sehr er sich freut, dass es wieder eine Heilige Nacht-Messe geben soll, dass niemand mehr in die Kirche zur "Missa-do-Galo" kommt, dass alle in ihren Häusern hocken und konsumieren und die Kultur vor die Hunde geht. Es gibt keine Lehrer im Dorf mehr, die sich für die Kultur und den Erhalt der Traditionen des Dorfes einsetzen, so wie Profesora Rosinda da Oliveira vielleicht.
Er war sehr dankbar und würde auch in diesem Jahr kommen.

Hagen erklärte, dass Tradieren eine Botschaft zum Inhalt hat, dass man Worte und ideelle Güter tradiert, aber nicht den Verzehr von Bacalhau und Schaumwein.

Na gut, wir müssen jetzt Plakate machen, die Textblätter gestalten, die erste Sprechprobe mit den Hirten durchführen, die Herde zusammentreiben, einladen und fragen…
Vamos ver.

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