Auobahnanschluss

Verfasst am: 1. September 2005 von Barbara Keine Kommentare

Wenn du aus dem Dorf hinaus – du weißt ja, gleich hinter den Kohlstrünken – auf die Nationalstraße fährst, die die beiden größeren Orte Vagos und Palhaça, verbindet, scheint die dörfliche Welt nur zum Hinterland hin noch in Ordnung zu sein.

An Markttagen ist auf dieser alten Chaussee der Verkehr so wie vor 20 Jahren zu beobachten: Alle Leute aus der Umgebung fahren mit den unterschiedlichsten Vehikeln zur großen Bauernfeira und kommen vollbeladen wieder zurück – Frauen auf Fahrrädern mit prallen Plastiktüten, hinter ihnen  auf dem Gepäckträger schwankt immer eine Pflanze (allerdings niemals eine Orchidee, die verträgt ja keinen Zugwind, die hütet man wie seinen Augapfel, die trägt man am besten am Herzen wie ein Kind); alte Männer auf rostigen Mofas mit uralten Sturzhelmen und verwegenen Mienen; Vater, Mutter und Kind auf einem Motorroller; ganze Großfamilien in ausrangierten Zweitautos, die man sonst nur noch zum Grasholen braucht (dass die überhaupt noch fahren!) – ja, das ist die portugiesische Cavalleria Rusticana ohne Pferde und Esel, aber mit einigen munteren PS, insgesamt ein lustiges traditionelles Bild auf dieser Landstraße in Richtung Osten.

Aber o weh, wie hat sich das Bild in bzw. die Straße in der westlichen Richtung verändert! Da kommt zunächst die funkelnagelneue Super-Autobahnbrücke über die funkelnagelneue Super-Autobahn, die wie ein Kanal eine tiefe Furche durch die Landschaft zieht. Friedhelm erklärte seiner Tochter: "Siehst du, da unten, dieses große Becken wird bald voll Wasser gelassen, und dann können dort große portugiesische Schiffe fahren!"
Zuerst habe ich gedacht, dass diese Autobahn, die das Dorf von den Nachbarorten trennt, sehr isolierend wirkt. Das Dorf würde noch mehr in den Schlaf versinken, während das Leben da draußen auf dieser sterilen technisch hochwertigen Autobahn vorbeibraust.  

Aber das Leben beginnt gleich hinter dem Kreisel beim Autobahnzubringer, der durch das kleine Eukalyptuswäldchen führt.
Da sitzt das wahre Leben in Gestalt von ein paar sehr jungen Straßenmädchen auf einem Autowrack, einem umgestülpten roten Plastikeimer oder einem Abfallhaufen und bietet seine Liebesdienste an. Die Dirnen sind blutjung und bestimmt in der untersten Preisklasse zu haben. Es sind keine Frauen aus den Dörfern ringsum, sondern Strandgut aus den großen Städten, fremde Gesichter, mir fielen die italienischen Schwarzweiß-Filme "La strada" und "La notte" mit ihrem beklemmenden Elendsmilieu ein.
Ich hatte solche halbnackten Damen früher manchmal in der Nähe der Autobahnauffahrt bei Oiá gesehen. Sie saßen dort ebenfalls in der Nähe der wilden Müllkippen, auf den Baumstümpfen und ausgeschlachteten Autositzen in den Seitenwegen. Dort in der Nähe hatte die Stadt auch ein paar Bretterbuden für Zigeuner errichtet. Ob die Frauen oder Mädchen dazugehörten? Im Sommer empfand ich das alles nicht so brutal und realistisch wie im Winter, wenn sie dort sitzen und frieren mussten. Oft hatten sie sich ein Feuerchen gemacht, langweilten sich und warteten auf Kundschaft.
Wer nimmt solche Dienste in Anspruch?
Würdest du deine Kinder jetzt noch fröhlich durch den Wald radeln lassen?
Oder die Männer bedenkenlos zur Jagd schicken?… Im Oktober beginnt die Saison.

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