Tot übern Zaun hängen

Verfasst am: 28. Juli 2005 von Barbara 2 Kommentare

Einmal hat eine Rostockerin naserümpfend zu Eliska gesagt: „Wie, du wohnst in Güstrow? Wie schrecklich! Da möchte ich nicht tot übern Zaun hängen.“

„Was ist denn das für eine Redensart?“

“Ja, das sagt man hier in Mecklenburg immer. Das ist so üblich. Da steckt eben die totale Abwehr und Geringschätzung drin.“

Ist ja eine fürchterliche Beurteilung, eine schauerliche Vorstellung, eine hässliche Formulierung.  

Ich habe wirklich einmal so ein Bild gesehen, und ich kann es nicht vergessen. Und es war im schönen Portugal, wo ich doch so gerne bin. Es ist der friedlichste Ort auf Erden. Nein, diese Redensart passt gar nicht zu dem paradiesischen Fleckchen Erde und der schönen Umgebung.

Wir fuhren durch das kleine Fischerdorf in der Nähe des Strands, „unseres“ Strandes, wohlgemerkt. Weit und weiß liegt der Strand da, in den Dünen wachsen Mittagsblumen, Strandlilien, Currykraut. Es ist der herrlichste Strand, wie aus dem Bilderbuch, wie aus dem Reisekatalog, wie aus dem Prospekt für verträumte Ferienparadiese.

Das Fischerdorf lag still und verlassen in der Sonne.
Und da sah ich den Hund, der tot über der Mauer hing. Ein Kettenhund, der den kleinen Hof beschützen sollte und der sich wohl so echauffiert und aufgeregt haben musste, wütend an der Mauer hoch gesprungen und gebellt haben musste – über was?, über wen? – , dann in seiner Rage über die Mauer hinweggesprungen sein musste, ohne daran zu denken, dass er ja an der viel zu kurzen Kette lag und festgebunden war. Er hatte sich erhängt.
Und nun hing er da tot in der glühenden Sonne. Hing tot übern Zaun. Vielleicht hing er da schon lange. Kein Besitzer hatte ihn befreit, kein Nachbar war zu Hilfe gekommen, niemand nahm Notiz davon. Da hing also der arme Hund tot übern Zaun.
Entsetzlich.
Nein.

Wir sind nie mehr auf dieser Straße, durch dieses Dorf und an dieser Mauer entlang gefahren.

2 Antworten

  1. Volkmar schreibt:

    Diese Redensart "da möchte ich nicht tot überm Zaun hängen" kannte ich auch noch nicht. Aber sie scheint sich nicht auf Mecklenburg zu beschränken, sondern ist bundesweit das geistige Eigentum breitester Bevölkerungsschichten, von Reiseberichten über Forenbeiträge bis zur Grünen Krista Sager. Ich habe mal mit Google im Internet nachgesehen, es gibt jede Menge an Zitaten.

    Was könnte diese Redensart bedeuten? Natürlich Langeweile, Stumpfsinn, Perspektivlosigkeit. Ich entnehme den Beiträgen im Internet, dass ein Kaff so menschenleer und gleichgültig sein kann, dass sich da keiner um einen kümmert, wenn man das Pech gehabt hat, tot überm Zaun zu hängen. Denn diese Todesart scheint das menschliche Schicksal schlechthin zu sein.  Niemand begräbt einen, man verrottet aufgespießt auf den Zaunlatten. Oder endet wie der arme portugiesische Hund, um den sich niemand kümmerte. Also genau das Richtige getroffen mit der Beobachtung in Portugal.

    Wenn man also schon tot überm Zaun hängt, dann zumindest in Düsseldorf auf der Königsallee. Da nimmt einen wenigstens einer runter. Bundesdeutsche Solidarität.

    Früher sagte man: "Stadtluft macht frei!" So ändern sich die Zeiten.
    Galiläer, deine Sprache verrät dich!

  2. Volkmar schreibt:

    Ein Nachtrag: Mir kamen noch ein paar Gedanken oder besser Fragen zu dieser merkwürdigen Redensart.

    Könnte sich dahinter verbergen, dass die Leute sich unfrei, eingeschlossen, wie im Lager eingesperrt fühlen? Man möchte ausbrechen aus dem KZ, aber der Posten im Wachturm erwischt einen mit seinem Maschinengewehr, wenn man den Zaun überwinden will. Das Leben als Lager.

    Solch eine Redensart fällt ja nicht zufällig vom Himmel. Was draufsteht steckt drin.
    Welche Lebenserfahrung wird da zur Sprache gebracht? Die der DDR mit der Grenze? Die der Konzentrationslager?

    Das könnte vielleicht zu der merkwürdigen Mode bestimmter Jugendlicher passen: Die Hosen hängen tief herab, als habe man den Gürtel abgegeben. Die Kleidung der Zuchthäusler ist das, Solidarität und Protest zugleich, aber Leben doch unter Zwang.

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