Extraprimasärrgutt

Verfasst am: 28. Juni 2005 von Barbara 1 Kommentar

Ich hörte einmal von einem ausländischen Gastarbeiter, der nach Deutschland kam und kein Wort Deutsch konnte. "Integrationsproblem" nennt man das, aber die meisten Fremden versuchen, sich so schnell wie möglich der fremden Sprache zu bemächtigen. Sie müssen das unbedingt tun, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Heute ist das staatlich empfohlen, wenn nicht sogar gesetzlich vorgeschrieben. Ohne Sprachkenntnisse geht nichts.

Dieser Mann nun lauschte aufmerksam und schnappte die Wörter auf, mit denen die deutschen Kumpels so um sich warfen.

Eigentlich müsste ich an dieser Stelle aufhören, denn jeder kann sich jetzt den Vokabelschatz vorstellen. Hahaha.

Ich habe ja selber solche Erfahrungen gemacht. Was waren denn meine ersten portugiesischen Floskeln? Was waren die Bausteine portugiesisch-dörflicher  Leitkultur?
Das erste Wort, das unsere soeben in Portugal gelandete Familie überhaupt nicht verstand, war das Wort "Cerveja" (Bier), mit dem uns Senhor Carlos empfing und einlud, nicht ahnend, dass wir und unsere Kinder kein Bier tranken und wir kein Interesse an Cerveja hatten, weil Bier in unserem Leben nicht vorkam.

Weiter lernten wir sehr schnell: "Ai que linda!", "Ai que bonita!", "Não presta para nada!", "destragada, bolorento"(das war der versiffte Kühlschrank), und immer wieder "filha da puta" (das galt dem Wind, dem Regen, der Kuh, dem kaputten Auto).

Unser guter Mann aber hörte immer wieder den Ausruf, den Kommentar und  die Antwort: "Aber hallo!" Das klingt so positiv, fröhlich, staunend, respektvoll. Dieses "Aber hallo!" ist einfach umfassend ausdrucksvoll. Was liegt da alles drin an unermesslicher Wertschätzung, an unsagbarer Bewunderung!
Also sagte der Fremde nun bei jeder Gelegenheit: "Aber hallo!"

Jetzt musst du mal einen Dialog erfinden…

Der Deutsche fragt: "Na, Kumpel, wie geht\’s?"
"Aber hallo!"
DD: "Gute Arbeit gefunden?"
"Aber hallo!"
DD: "Viel Knete?"

"Haste Familie?"

"Kinder?"
….
"Isses schön in Deutschland?"
….

Manchmal muss ich lachen über diese Story, aber nur manchmal… Und dann besuchte uns der kleine Herr Antonio und erzählte, er kenne Deutschland und habe da mal gearbeitet. Vor Jahren, beim Bau. Er könne auch deutsch sprechen. Aber dann fiel ihm kein deutsches Wort mehr ein. Und die Wörter, die wir ihm vorsagten, bestätigte er nur lachend und stumm nickend: Jaja, hört sich deutsch an.
"Und wie war es in Deutschland?"
"Extraprimasärrgutt", sagte er und strahlte, denn das war hängen geblieben. Er hatte nicht alles vergessen, er konnte noch Deutsch, hurra.
"Hatten Sie eine gute Arbeitsstelle?"
"Ja, extraprimasärrgut!"
"Haben Sie gut verdient?"
"Ja, extraprimasärrgut!"
Aber er sei dann doch wieder nach Portugal zurück gegangen, weil unterm Strich gar kein Geld übrig blieb. Er musste alles für Unterkunft, Verpflegung, Versicherung, Altersrente und und und wieder hergeben.
Ich wurde ganz verlegen und begann mich schon für den deutschen Arbeitgeber und sein ausbeuterisches Verhalten zu schämen, aber Herr Antonio sagte dann, dass der Arbeitgeber ein Landsmann gewessen sei, ein portugiesischer Subunternehmer, der seine Arbeiter total übern Tisch gezogen habe. Ja, und deswegen seien sie dann alle traurig wieder in die Heimat zurück gekehrt. Aber in Deutschland war es extraprimasärrgut, wirklich, da sei es schön. Gutes Land, gute Menschen.
"Deutschland extraprimasärrgut!"

Eine Antwort

  1. Volkmar schreibt:

    Ich hatte einen italienischen gastarbeitenden Freund, für den war alles "hunderteprozent".
    Aber manchmal ist es erschreckend, was als deutsche Quintessenz bei Ausländern hängengeblieben ist, sozusagen als die deutsche Visitenkarte.
    In Kamerun, das ist nun schon länger her, gab es einen eingeborenen ehemaligen Hilfssoldaten, der in der kaiserlichen deutschen Truppe gedient hatte. Wenn dem der Alkohol die deutsche Zunge löste, fing er an zu exerzieren: "Stillgestanden, ihr schwarzen Schweine!" und ähnliche Invektiven.
    Die nachfolgenden Besatzer haben, schwacher Trost, keine besseren kulturellen Spuren hinterlassen, von wegen Sprache Pierre Corneilles oder Victor Hugos. Ich habe noch nie so furchtbar auf Französisch fluchen hören wie in Kamerun. La voix de son maître – Die Stimme seines Herrn!
    Mongo Beti, einer der großen kamerunischen Schriftsteller, hat das literarisch verewigt.
    Und zwar "hunderteprozent".

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