Autobahnanschluss

Verfasst am: 13. Januar 2005 von Barbara Keine Kommentare

Unser kleines  Dorf – auf keiner Landkarte zu finden – hat seit den Sommerferien einen Autobahnanschluss. Es sollte ja eigentlich zur Fußball-Europa-Meisterschaft fertig sein, aber es wurde halt ein bisschen später. Du kannst jetzt in kürzester Zeit auf die Autobahn Lisboa-Porto zischen oder in Minuten auf die Einflugschneise zum übrigen Europa, auf die IP5, "Ippezinko" gelangen. Das ganze Umland ist von der vier- oder sechsspurigen Autobahn durchfurcht. Sieben Brücken gibt es in der Nähe des Dorfes, blaue Brückengeländer spannen sich über Abgründe, und wo früher Wälder und Wiesen, herrliche Schutthalden und fruchtbare Müllkippen, Sümpfe mit Reihern und Störchen waren und weiße Kallas- und rote Cannadschungel wucherten, ist jetzt sauber aufgeräumtes, geradliniges Autobahngelände, schwarze Teerbahnen mit weißen Strichen und frisch eingesäte Abhänge oder Randstreifen, ohne jede Blüte, ohne ein Kräutchen.

Du siehst auf der Autobahn nichts mehr.
Du siehst während der Fahrt kein einziges Dorf mehr.
Kein Häuschen, keine Lehmhütte, keinen Brunnen, kein Ochsengespann.

Es ist eine virtuelle Landschaft wie in Computerspielen. Und ziemlich monströs und großzügig gebaut. Viele Strecken liegen 30-40 Meter tief. Wir haben damals, als diese gewaltige Anlage im Bau war, oft gedacht, dass das alles aussieht, als werde ein Kanal gebaut. Man kennt ja diese monströsen Kanäle in Norddeutschland, mitten im platten Land. Sicher wird man diese riesigen Becken mit Wasser füllen, dachten wir, und eines Tages kommt dann ein Ozeanriese daher. Hella stand auf der Brücke , schaute in die Tiefe und sagte: "Irgendwie denk ich immer, das wird hier mal eine Badeanstalt, eine Schwimmanlage für olympische Spiele. Stell dir vor, unser Dorf als Austragungsort für alle Wassersportarten, haha."

Du öffnest das Fenster, aber es riecht nur nach Abgasen und Diesel. Du merkst überhaupt nicht, wo du bist. Wo muss man denn abbiegen, wo sind wir denn hier eigentlich? Alles sieht gleich aus.

Rinaldo, der jetzt nach 5 Jahren zu Besuch kam, irrte lange umher, denn alle Straßen waren verändert, alle Abfahrten von früher waren gesperrt oder zugewachsen, überall Umleitungen, überall Kreisel und statt der kleinen Wäldchen neue breite geteerte Straßen. Endlich erreichte er den Nachbarort, wo es etwas besser war, sich zu orientieren. Er glitt über die breiten Autostraßen, umrundete ein paar Kreisel, kam plötzlich an ein Feld mit Kohlstrünken und entdeckte dort das Ortsschild. Gerettet! Zuhause! Er bog hinter Kohlstrunk 17 ab und war auf der staubigen hoppeligen Dorfstraße. Unsere liebe alte vertraute Straße!! Er erzählte von seiner Erleichterung und Freude und wie ihm bei jedem Schlagloch und Hindernis ein Stein vom Herzen fiel.

Dieser Fortschritt, der Portugal ergriffen hat, reißt uns vielleicht doch alle in den Abgrund?

Alle nicht. Du weißt ja (vgl. "Asterix und Obelix"): "… nur ein kleines Dorf widersteht… "

Vielleicht dank seiner etwas rückständigen, langsamer tickenden Bewohner, die sich als Fossilien in blauen Häusern halten: "Lass uns lieber durch den Wald fahren, wo es so gut nach Harz und Eukalyptus riecht, ja? Lass uns durch die Dörfer holpern, es dauert doppelt so lange und ist unbequem, aber da sieht man doch freundlich lachende Menschen, Hunde, Häuser, Bäume, Kinder, da gibt es Pfützen, herabgefallene Orangen, blühende Hecken, schön verzierte Häuser, schrille Farben. Du kannst halten und beim Bäcker Brot holen, eine Nase voll frischen Kaffeeduft schnuppern, beim Restaurant die Speisegerüche  aufnehmen, am Kiosk schnell eine Zeitung kaufen, ein Wort mit dem Mann wechseln, der da in der Sonne sitzt… "

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