Der (Um)Weg nach Carregosa

Verfasst am: 26. August 2004 von Barbara 2 Kommentare

Manch einer wird sich fragen, wie er wohl in dieses wunderbare iberische Dorf gelangt. "Ein kleines Dorf am Rande der Welt trotzt allen Widerständen…" (Vgl. Asterix) Selbst wir folgten anfangs nur vagen handschriftlichen Aufzeichnungen, die einige Orte entlang der Pyrenäen und verschiedene Péage-Stellen mit den entsprechenden Tarifen markierten. Wir probieren allerdings immer wieder Abkürzungen und Alternativen aus. Eine davon, möglicherweise eine unmögliche und nicht sehr empfehlenswerte, stammt von Katharina S. und ist datiert am 9./11.8.2004.

Die unmögliche Reise der Katharina S. von Berlin nach Carregosa

Endlich hatte mich der Gedanke, Ferien zu machen, dazu bewegt, den Urlaubsantrag zu stellen und gleichzeitig ein Ziel anzugeben:
Carregosa in Portugal.
Leider war es mittlerweile darüber mal wieder Ende Juni geworden, und nun ging es um die Frage, wie ich preiswert dorthin gelangen könnte.
Alle Flüge, die ich über Internet oder Reisebüro fand, waren schon ausgebucht oder zu teuer.
"Na, ja, den Letzten beißen die Hunde!", dachte ich.
Dann fand ich über Internet "DAS ANGEBOT". Mit "Gullivers Reisen" für 140,- Euro von Berlin nach Porto. Ich buchte sofort.
2 Tage vor der Abfahrt rief ich meine Eltern an. "Ich komme also am Mittwoch um 16.00 Uhr in Porto an. Falls sie in Albergaria halten – ich melde mich per Handy."

Am 9. August brachte mich meine Kusine Barbara mit Familie nach Berlin. Nachdem wir "Unter den Linden" einen Döner vertilgt hatten und die vollautomatische Toilette für 1 Euro zu sechst besucht hatten, fuhren wir per U- und S-Bahn zurück zum ZOB. Der Bus kam pünktlich um 15.30 Uhr. Ich bekam einen guten Platz zum Gang hin mit viel Bewegungsraum. Mitreisende waren viele Japaner und ein paar Aussteiger und junge Pärchen.

16.00 Uhr Abfahrt über Thüringen – Sachsen nach Nürnberg und München. Da der Bus mit Toilette ausgestattet war und es sogar möglich war, einen Becher Kaffee zu bekommen, war der erste Teil der Reise angenehm und interessant, soweit man das von Autobahnen behaupten kann.
In München war es bereits sehr dunkel, 23.30 Uhr. Wir wurden von den  Zollbeamten kontrolliert, die sogar in den Bus kamen und die Reisedokumente einsammelten. Vorher hatte der Fahrer, eine echte Berliner Schnauze, uns gewarnt: Wenn wir keine gültigen Ausweise hätten, sollten wir lieber gleich in München aussteigen. Es stieg niemand aus. Die Japaner filmten alles per Video – auch die Nacht oder auch die Tunnel, durch die wir fuhren. Neben mir saß ein Deutscher, ein Musiker, der in Toulouse lebt, weil dort die Grundstücke noch zu bezahlen seien und der Fuß der Pyrenäen ihn schon immer fasziniert habe. Nur die lange Fahrt mochte er nicht, aber wegen des günstigen Preises müsse man halt die anderen Unbilden in Kauf nehmen. Ab Mailand hätten die Busse keine Toilette mehr. "Aha, gut zu wissen", dachte ich.
In der Nacht fuhren wir über den Brenner, durch Österreich, und am Morgen um 7.00 Uhr waren wir tatsächlich in Mailand. Nun hieß es umsteigen, aber da keiner sagte, in welchen Bus, war das nicht so einfach: Da gab es Busse nach Bologna, nach Napoli. Unser bisheriger Bus fuhr nach Florenz weiter, dann kamen Busse nach Madrid. Auf dem, in den ich einsteigen wollte, stand: Milano – Nice – Faro. Zumindest die Richtung stimmte doch. Durch Probleme beim Bepacken des Busses zögerte sich die Abfahrt bis 8.30 Uhr hinaus. Ich bekam wieder einen guten Platz, auch wenn der Bus nicht mehr so großzügig eingerichtet war, was die Bewegungsfreiheit zwischen den Sitzen anging. Aber neben mir saß niemand, was unbedingt ein Vorteil war.

Von Milano ging es nun an der Küste entlang. Eine irre Gegend: Man fährt durch Gebirge und sieht zu seiner Linken das Mittelmeer. Irgendwo an einer Tankstelle machten wir eine Viertelstunde Pause. Ich besorgte mir noch eine Flasche Wasser. Trinken ist doch wichtig bei so einer langen Fahrt.
Wir kamen an Genua vorbei, gegen Mittag fuhren wir durch einen Tunnel und am anderen Ende waren wir in Frankreich.  Kurz danach fuhren wir in Nizza ein.
Das Besondere an diesen Busfahrten ist, dass die Busbahnhöfe immer an irgendwelchen wichtigen Plätzen in der Stadt liegen, wie die Messe in Berlin, so sieht man doch ein bisschen von der Stadt, in der man hält.  Der ZOB von Nizza liegt  am Nationaltheater.
Der Busfahrer hielt und sagte, wir müssten aussteigen. Das wir umsteigen müssten, war nicht klar.
Wir sollten zur Fahrkartenkontrolle. Dort bekam ich eine neue Fahrkarte von einer französischen Busgesellschaft INTERCARS und musste also in einen anderen Bus umsteigen. Bei der Einfahrt hatte ich Busse mit portugiesischen Kennzeichen gesehen. Sicher machen sie das mit den Teilstrecken, damit sie für das Geld, 140,-Euro überhaupt hinkommen, dachte ich.
Bisher war ich in zwei Bussen gewesen mit insgesamt 4 Fahrern.
140 x 50 TN  = 7000,-€ : 4 =1750,-€. Bloss jetzt kamen ja weitere 2 Fahrer dazu. Also, wenn hier jeder einen knappen 1000er verdienen würde, wäre das noch ein gutes Geschäft. Aber wahrscheinlich bekommen sie nicht mal das. Eher so um die 500 Euro oder weniger, wobei die Tarifverträge von Strecke zu Strecke sicher unterschiedlich sind.
Diese neuen Fahrer waren von Anfang an sehr unfreundlich. Im Bus war es jetzt noch enger. Die Besatzung hatte gewechselt. Französische Portugiesen, ein paar Aussteiger, ein Schwarzer, ein Marrokaner, der versuchte, mich anzubaggern. Der war der Einzige, der schon seit Mailand im Bus mitgefahren war.
Wir fuhren gegen 13.30 Uhr los. An der Strandpromenade von Nizza entlang, was ich toll fand, mal der "Haute volaute" über die Schulter gucken zu können. Der nächste Abstecher in Cannes, weiter nach Montpellier, dessen monumentale Fassaden mich beeindruckten. Man hat hier den Olymp nachbauen wollen. Alles ist in weißem Marmor gehalten, und die Strassen heißen "Rue de Zeus" und "Rue Athenes". Das ist der Teil des Montpellier mediterrané, wie ich auf einem Schild las. Nach kurzen Aufenthalten, bei denen immer mehr Leute einstiegen, fuhr der Bus weiter über Marseille – Richtung Toulouse – St. Jean de Luz- San Sebastian.
Irgendwann auf der Autobahn hielt er mal an für eine kleine Pause. Nun hatte ich seit dem Vorabend durch diese chaotische Umsteigerei keine Zeit gehabt, um mich zu waschen oder solcherart Bedürfnissen nachzugehen. Ich nahm also meinen Waschlappen mit und Wäsche zum Wechseln. Eine lange Schlange stand vor der Toilette. Als ich wieder rauskam, war kein Bus mehr zu sehen. "Was mache ich denn jetzt?", fuhr es mir durch den Kopf. Irgendwie kam mir das unwirklich vor, wie in einem falschen Film. Gott sei Dank, hatte ich meine Ausweistasche mitgenommen, die lasse ich bei solchen Fahrten nicht vom Leib. Ein paar Meter entfernt stand eine Gruppe französischer Gendarmen. Ich sprach sie auf Englisch an und bat sie um Hilfe. Einer von ihnen konnte sogar ein paar Brocken Deutsch. Er sagte, sie wollten die nächste Mautstelle in 20 km anrufen, damit sie den Bus anhalten und mich dorthinbringen könnten.  Ob ich den Bus beschreiben könne.  Aber so gut hatte ich mir das auch nicht gemerkt. Ich zeigte meine Busfahrkarte, erklärte aber, der Bus sei nicht französisch, sondern portugiesisch. Man bot mir einen Platz an in einem kleinen Raum, in dem die Polizisten die Raser abkassierten, die sie hier anhielten.
Da die Fahrkarte die Polizisten irritierte, riefen sie in Nizza an, dort war niemand mehr, sie riefen in Paris in der Buszentrale an, dort nahm man Kontakt zu dem Fahrer auf. Leider mußte der nette Gendarm dann los
zu einem Einsatz mit dem Motorrad. Er war wirklich sehr nett gewesen.
Sein Chef winkte mich herbei, als ein Bus vorfuhr, der meiner war, es war übrigens kein portugiesischer, sondern ein spanischer Bus. Ich schaute mir das Kennzeichen jetzt genau an, sowas soll nicht noch mal passieren. Der Busfahrer war sauer – ich aber auch. Die Leute riefen "oh!", als ich reinkam. Als ob ich Schuld hätte, wenn sie nicht warten können.
Na, diese Erfahrung bewirkte immerhin, dass nun nach jeder Pause, von denen es noch 2 gab während der nächsten 12 Stunden, durchgezählt wurde. Irgendwann hielten wir in Toulouse, da stiegen die letzten Mitreisenden ein. Jetzt war es sehr eng und stickig, trotz Klimaanlage. Ich hatte meinen Platz am Fenster, dadurch konnte ich kaum meine Beine bewegen. Man döste irgendwie vor sich hin. Von der Fensterseite blies es kalten Wind von der Klimaanlage ein, von rechts schwitzte man. Schrecklich. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Der Bus fuhr nicht. Wir waren wahrscheinlich schon jenseits der spanischen Grenze. Es war drei Uhr morgens. Man solle jetzt Kaffee trinken und frühstücken. Ich war zu müde dazu.  Als ich gegen 7.00 Uhr aufwachte, waren wir kurz vor Salamanca – Tordesillas. "Portugal 220 km" schrieb das Schild. Da habe ich meine Eltern zum erstenmal angerufen.  
Gegen Mittag 12.00 Uhr waren wir tatsächlich an der Grenze Vilar Formosa. Ein Busfahrer war schon vorher an der Strecke ausgestiegen. Der andere verschwand jetzt. Man hätte jetzt in einen Bus nach Aveiro umsteigen können. Aber ich hatte mich ja in Albergaria a velha verabredet.  Der Bus, in dem ich saß, sollte nach Porto fahren. Es wechselte also nur der Busfahrer, d.h. es waren zwei, diesmal mit weißen Hemden. Aber richtig informieren wollten sie einen auch nicht. Gegen 12. 30 Uhr fuhren sie los.
Papa sagte am Telefon, sie wollten dann so um halb zwei in Albergaria auf mich warten. Wir hielten in Mangualde, wo nun mal ein paar ausstiegen. Dann kamen wir nach Viseu. Es regnete wie aus Eimern. Die Busfahrer erklärten, sie machten jetzt eine Pause von 20 Minuten. Nach meiner Uhr war es da schon 13.30 Uhr. Jetzt ärgerte ich mich. Wir mussten nämlich alle aussteigen, und die Pause dauerte auch länger als angekündigt – und das beim strömenden Regen. Ich dachte an meine Eltern, dass sie viel zu früh in Albergaria waren und nun vergeblich warten würden. Ich versuchte, sie nochmal zuhause anzurufen und war überrascht, als Mutti dranging. Vielleicht war sie zuhause geblieben, falls ich mich nochmal melden sollte? Ich habe in dem Moment nicht daran gedacht, dass ich meine Uhr hätte eine Stunde zurückstellen müssen. Mutti erzählte später, sie hätten gerade losfahren wollen, sie habe gerade noch das Telefon gehört.
Die Strecke von Viseu nach Albergaria zog sich wie ausgelutschtes Kaugummi. Wir kamen in zwei Staus. Man wußte nicht, ob es wegen einiger Unfälle war oder wegen der Baustellen. Die ganze Strecke ist eine Baustelle. Man scheint es zu lieben, hohe Hänge aufzuschütten und dann mit Zement zu übergießen und an derem Fuß dann mörderische Autostraßen zu bauen. Mir gefiel das alles nicht. Ich wollte endlich raus hier. Außerdem regnete es die ganze Zeit. Es reichte!
Um 16.30 Uhr nach meiner Uhr kamen wir in Albergaria-a-velha an. An diesen Busbahnhof konnte ich mich nicht mehr erinnern, vor 6 Jahren sah es eben noch anders aus. Die Mitreisenden wollten mich nicht rauslassen, dies sei nicht Porto, sagten sie. Ich wollte aber immer nach Albergaria, auch wenn das Ticket etwas anderes schreibt. In Deutschland konnte man solche Feinheiten eben nicht buchen. Meine Eltern standen schon da. Papa mußte den halben Kofferraum des Busses ausräumen, mein Koffer war wirklich in der letzten Ecke. Der Busfahrer krümmte keinen Finger. Nach einem Milchkaffee im Busbahnhof ging mir endlich auf: Ich bin angekommen.  Wer will behaupten, ich habe für mein Geld nicht viel geboten bekommen?

2 Antworten

  1. Volkmar schreibt:

    Ist ja ein richtiger Horror-Trip, der nur noch von einer per-Anhalter-Fahrt übertroffen werden kann.
    Ein paar Tage unterwegs, auf engem Raum, man kann nicht oder nur sehr schlecht schlafen, muss sich hinterher ein paar Tage von den Strapazen erholen. Man kann sich kaum waschen, Bus fährt weg, Umsteigen, Koffer rumwuchten, und und und.
    Nimmt man dagegen das Flugzeug, dann ist ein Hin- und Rückflug etwa nur doppelt so teuer. (Die 140 € beziehen sich doch nur auf die "einfache" Busfahrt, oder?) Vorausgesetzt, man kann rechtzeitig buchen und bekommt einen günstigen Tarif.
    Allerdings sieht man mehr, lernt bestimmte Leute kennen. Z. B. nette französische Polizisten. Aber für mich wäre das nichts mehr. Bin bequem geworden.
    Na ja, aber dennoch hat sich Bolle….

  2. Christine schreibt:

    Also Katharina, wenigstens wurde es nicht langweilig!
    Wenn Sie mal wieder nach Carregosa wollen: Ab November soll die AirBerlin zu Spitzenpreisen nach Porto fliegen (über Mallorca). Und wenn mal wieder mit dem Bus – versuchen Sie einen Bus der Internorte zu bekommen. Ich vermute, die fahren eine andere Strecke.

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