Wettrüsten

Verfasst am: 6. August 2004 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio, wir konnten hier einige Tage nicht mailen, zwar hin und wieder etwas lesen, aber nie senden. Und wenn der PC nicht mehr geht, komme ich mir vor, als habe mir einer die Flügel abgeschnitten.
Kam aber auch sowieso nicht recht zum Schreiben.
Wegen Lärmbelästigung.

Das Dorf rüstet auf. Das sind alles Festvorbereitungen für die Woche vom 21. bis 28. August, wo wir die Grandiosa Festa unser Dorfpatrone feiern, der "Nossa Senhora da Saúde" und des Heiligen António.
Mir fallen ständig bei allen diesen Arbeiten Begriffe wie Wettrüsten, Mobilmachung, Aufrüstung und andere Vokabeln ein, die etwas Bedrohendes und Feindseliges haben. Das liegt daran, dass seit 2 Wochen so ein alarmierender Ton in der Luft ist, als nahten feindliche Kampfflugzeuge. Dieser nicht aufhörende Ton fängt sich an den Wänden unseres Gebäudes und hallt auf unserem engen Hof wider.
Der Nachbar (Emigrant aus USA) reinigt seit Tagen seinen Betonvorgarten (Ja, ganz richtig, Beton, es ist Beton!) mit der Spritzdüse, der Motor brummt 14 Stunden am Tag. Jedes Stäbchen seines weißen Eisengitter-Zaunes hat er hingebungsvoll bearbeitet. Danach die riesige Zementfläche, die er Garten nennt und in der 4 Löcher für immergrüne Pflanzen ausgespart sind, die absolut keinen Laubabfall haben (sie scheinen sogar echt zu sein, obwohl Plastikblumen doch viel praktischer wären: man könnte die doch auch mit dem Hochdruckwassergerät absprühen), danach das Mauerwerk seiner Gartenumgrenzung – innen und außen -, danach die Häuserwände, zum Schluss die Hofeinfahrt und den Zufahrts-Weg zu seinem mit Plastik-Wellblech überdachten Innenhof.
Ich hoffte von Tag zu Tag inständiger: Mal muss doch dieser ewige Brummton des Elektromotors aufhören, – ich hoffte es stark.

Und plötzlich hörte dann nachts um 22 Uhr, als wir auf dem Hof saßen, der Ton auf. Ende. Aus.
Es war plötzlich wirklich ganz still.
Es blieb ganz still.
Carla, Christoph, Hagen und ich atmeten erleichtert auf, als seien eine schwere Last und ein seelischer Druck von uns genommen.
Es blieb still.
Wir guckten uns erstaunt an, als sähen wir uns nach langer Trennung wieder.
Dann haben wir eine Weile nicht gesprochen.
Man hörte die schlafenden Vögel in der Bougainvillea rascheln.
Man hörte eine Eule auf dem Schornstein zischeln.
Man spürte die vorbeihuschenden Fledermäuse.
Die Nacht war wie dunkelblaue Seide und fiel lautlos über unsere Haare und Schultern und Hände und Gedanken.

Und man hörte die Sterne.
Ich habe das mal gelesen und ein bisschen gespottet, weil das wohl ein Spinner geschrieben haben musste.
Aber es stimmt: Ich hörte die Sterne.

Und ich erwachte am anderen Morgen mit ganz frohem Herzen: „Heute ist ein wunderschöner Tag, die Sonne scheint, die Vögel singen, die Blumen blühen.“ Aber was ist das? Aber – woher kommt der Brummton? Ist ein elektronisches Gerät defekt? Hat einer das Radio nicht abgestellt? Was brummt da? Der Eisschrank? Die Waschmaschine? Die Ölpumpe? Der Brunnenmotor? Der Rasenmäher? Am Ende gar alle Rasenmäher des Dorfes?

Nein, hier ist alles still. Ich laufe also auf die Straße.

Hilfe!
Da steht doch tatsächlich der Nachbar auf dem Dach und bedüst das!! Mit seinem Hochdruckwasser-Apparat bearbeitet er sorgfältig und porentief jeden Ziegel.
Das kann noch Wochen dauern. Das Fest ist ja auch erst am 22. August.

Und dann fällt mein Blick auf das gegenüber liegende Haus. Da steht ja ebenfalls einer mit seinem Hochdruckwassergerät auf dem Dach und spritzt jeden Ziegel ab!

(Wie gesagt: Wettrüsten.)

Und dabei kommt die Prozession am Kirchweihsonntag doch gar nicht durch unsere Straße. „Deus nao passa pela vossa rua!“

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