Der Fernsehkommentator

Verfasst am: 17. Juni 2004 von Barbara Keine Kommentare

Flotte Sprüche und manchmal verwegene Ansichten, aber auf jeden Fall lockere und frische Reden hat er drauf, der Fussballkommentator, der vor und nach jedem Spiel mit Günter Netzer im TV die Situation bespricht.
Wie kommt er eigentlich zu dem Recht, über die Spielbegeisterung, die Mentalität und Lebensanschauung "der Portugiesen" zu befinden?

"Die" Portugiesen – wer ist das eigentlich?  Scheinbar die Leute, die der TV-Mann jetzt bei seinem Aufenthalt trifft und die ihn umgeben, also die Angestellten im Hotel und im "Stadium"(!), die Leute, die in der Kneipe sitzen oder die er von Deutschland kennt, und vor allem: die Fußballfans. Aber das sind nicht "die" Portugiesen, genausowenig, wie "der" Portugiese der beste Liebhaber ist.

"Fussball ist für die Portugiesen eine Religion", sagt er.
Ich würde ihn gerne in unser Dorf bringen, wo nicht einmal gestern beim Spiel Portugal gegen Russland alle vor der Glotze hingen, wo überhaupt keiner grölt oder Raketen abfeuert. Die Männer arbeiten noch bis spät in die Nacht, weil es abends erst abkühlt und dann die Felder bestellt und vor allem: bewässert werden können. Unsere Nachbarn jedenfalls waren alle draußen bei der Arbeit, und ich lief eigens hin und teilte ihnen mit, dass Maniche das 1. Tor geschossen hat, bei dem es dann lange blieb. "Soso", sagte Arcindo und nahm es zur Kenntnis (bem ou mal – es wird doch natal, wie wir ja wissen).

"Nun lassen sie nicht mehr die Köpfe hängen und versinken in typisch portugiesischer Melancholie", sagte der Kommentator nach dem Sieg, und ich frage mich, woher er die typisch portugiesische Melancholie zu kennen glaubt. Bloß weil man einmal die Sommerferien im Algarve verbracht hat, kennt man doch noch nicht den typischen melancholischen Portugiesen und "saudade".

Und wenn sich da siegestrunkene Fans um die Kameras scharen, Portugiesen, die aus aller Welt zusammengeströmt sind und ihre Helden anfeuern und bejubeln, dann sind das längst nicht alle Portugiesen. Die Fußballbegeisterung hält sich hier wirklich in Grenzen.
Beim Spiel Deutschland gegen Niederlande war kein einziger Mann in Césars Café, das ist hier noch viel zu früh für die Landwirte, denn sie fütterten ihr Vieh, wässerten die Maisfelder, fuhren mit dem Trecker, hatten zu tun. Vielleicht würden sie sogar vorm TV auch ein Nickerchen machen wie der spanische König Juan Carlos beim Spiel seiner Nationalmannschaft. Man muss eben Prioritäten setzen.

Aber manchmal sagt der junge Fernsehkommentator doch Dinge, als lese er sie aus meinen Büchern und Aufzeichnungen ab. Ich bin total mit seiner Einschätzung einverstanden und würde ihn gern fragen, ob er meine Erzählungen da vorliegen hat. Sonst würde ich sie ihm gern schenken.

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