Poesie

Verfasst am: 15. Dezember 2003 von Barbara Keine Kommentare

Im vorigen Jahr reiste ein Fernsehteam durch Portugal und suchte nach "Poesie aus Kindermund". Vom Algarve bis Porto streiften sie durch Städte und Dörfer und forderten die Kinder, denen sie begegneten, auf, spontan ein Gedicht aufzusagen oder ein Liedchen  zu singen. Das war nicht vorher angekündigt und bestellt worden, kam deshalb ganz natürlich und manchmal gar nicht – aus Verlegenheit und Verschämtheit. Jedenfalls war keine stolz lächelnde Mama im Hintergrund, die ihr Vorzeigekind als künftigen Weltstar präsentierte.

In Faro sangen ein paar Schulmädchen – sie hatten sich eingehakt und wiegten sich dabei im Takt -  irgendwelche Reime, Sprüche, Liedlein. In Evora  auf dem Marktplatz saßen zwei Büblein auf dem Brunnenrand und sangen vom Olivenzweig und später kam es schon zu Versen von Camoes, in Coimbra hörte man studentische Worte, zwischendurch auch mal jugendliche Rapper oder Kinderreime wie "Unser Kater ist portugiesisch, wenn er mit a singt, singt er lalala…, wenn er mit i singt, singt er lilili…" oder "Da steht ein kleines Haus, es ist arm und nicht reich, es ist ein portugiesisches Haus". Manchmal sang auch ein kleines Mädchen mit tonloser Kinderstimme einen Fado von den "Rosen an der weißen Mauer in meinem Garten", und eine Gruppe von Kindern der ciganos am Stadtrand von Porto bot ein Repertoire in einer ganz eigentümlichen Mischsprache.

Dabei schien der Kameramann ein Poet zu sein, der die Stimmung und Schönheit einer Landschaft, die Ungezwungenheit der Sprecher und die Anmut der Kindergesichter einfing, welch ein bezauberndes Gesicht von Portugal! Und der Kommentator wurde manchmal selbst zum Dichter, wenn feststellte: "Je ärmer das Leben, desto reicher die Poesie." Bei diesen Worten kam ein barfüßiger Junge eine enge Gasse in Portos Unterstadt herauf und sang ein schwermütiges Lied von  Liebe und Leid und dem schönsten Mädchen von Portugal, einfache Worte, eine schlichte Melodie – aber wunderschön.

Je ärmer die Gegend, je ärmer die Menschen, desto poetischer ihre Sprache.

Eine Antwort verfassen