Allerseelen

Verfasst am: 11. November 2003 von Barbara 1 Kommentar

Wie das Osterfest wird auch Allerseelen in unserem Dorf eine Woche später gefeiert, weil der Padre die Arbeit in seiner Parochie sonst nicht bewältigt.

Wir sind also am Sonntag nach der Messe, die auf 15 Uhr nachmittags verlegt worden war, in einer feierlichen Prozession zum Friedhof gewandert, nachdem der Priester sein Festgewand gegen ein schlichtes mit violetter Stola umgetauscht hatte. Alle Fahnen, Banner, Standarten und silbernen Laternen wurden von den rot und blau gewandeten Kirchenvorstehern vorneweg getragen, dann folgte die Gemeinde, vor allem viele Frauen, alle in Schwarz und mit todernsten Mienen. Die Sonne schien, doch heiter wirkte nur die Figur des kurzbeinigen Padre, der hinter den Fahnen herwackelte.

Ernst und sehr eilig schritt man zum Friedhof, wo in einer kurzen Andacht der lieben Verstorbenen gedacht wurde. Jedenfalls war davon die Rede. Immer wieder: "Wir gedenken unserer Verstorbenen und aller Gläubigen. Wir beten für sie."

Aber in der Sonne zwischen all den Marmorgräbern dachte man eigentlich mehr über den bombastischen Blumenschmuck nach, den die Hinterbliebenen den ach, so teuren Toten hingetragen hatten.

Es ist einfach unvorstellbar!
Diese Blumenfülle ist unvorstellbar!
Da liegen nicht etwa nur ein paar verträumte Winterastern, o nein, da rankt und strebt und wuchert und explodiert es, und in allen Farben und Formen quillt die Liebe der Zurückgebliebenen über die Grabplatte! Superteure Arrangements aus feuerroten oder rostbraunen Lilien, weiße und rote Gladiolen und weinrote Protëen, kostbare riesige Orchideen, kunstvoll gesteckte Strelitzien.
Mut zur Farbe!
Rot, orange, rosa, dunkelrot und lila als Auferstehungstusch.
Daneben 25 rote Grablichte, nicht die einfachen Teelichtlein, nein, teure Dauerbrenner in geschliffenen Glaskugeln und unter brillanten Kuppeln. Schwimmende Rosen und Madonnen (statt Goldfisch) in einer Glaskugel.

O Tod, wo ist dein Stachel nun?
Ja, warum soll der Tod nicht etwas Schönes sein? (Wolfgang Borchert)

Die IGA 2003 in Rostock und jede andere Gartenbauausstellung war armselig gegen diese Pracht auf unserem Dorffriedhof, eine Pracht, bei der man die Vorfreude auf das Himmelreich spürt. Hei, das muss fein sein, mit all den Lieben einst dort oben zwischen duftenden Blumen zu sitzen und Halleluja zu singen.

Ich war heute noch einmal mit meiner Nachbarin da, wir trafen zwei weitere Nachbarinnen und haben uns wunderbar unterhalten. Was haben sie gelacht und geschnattert. Die meisten haben auch schon ihre Grabstätte mit den Namen drauf. "Schau mal, hier liege ich", sagen sie. (Hier liege ich, Präsens!) Ein schönes Plätzchen, alles schon fix und fertig, damit die Kinder keine Geldausgaben haben. Da muss man hin und wieder ein bisschen Staub wischen oder das Regenwasser wegwischen und kann dann davon träumen, wie schön man dort liegt (Präsens), so ruhig, friedlich, beweint und mit herrlichen Blumen geschmückt.

Ein schöner Nachmittag war das. Die warme Sonne. Die Blütenpracht. Fehlte nur noch eine gemütliche Bank und ein Tässchen Kaffee.

Eine Antwort

  1. Volkmar schreibt:

    Mit der Rasenbank am Elterngrab und der Tasse Kaffee haben andere Völker ja längst Ernst gemacht: Die Russen essen am Grabe und trinken Wodka. Auf den Kreuzsteinen in Armenien ist das Kreuz mit Rosen verziert, ähnlich ja auch bei Luther. Oder bei Bach in der Matthäus-Passion die Arie "Komm, süßes Kreuz". Hier in Frankreich sind die Friedhöfe furchtbar versteinert, aber an Allerseelen sind sie ein einziges Blumenmeer. Wir Protestanten (der eher reformierten Prägung) haben es da wohl schwerer mit unseren Gefühlen. Schade.

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