Kriegszustand

Verfasst am: 6. August 2003 von Barbara Keine Kommentare

Abends sitzen wir auf dem Hof und schauen in den Sternenhimmel. Es ist so kühl, dass man sich eine Strickjacke holen muss. Die Eule schnarrt, sie sitzt im Licht des Halbmondes auf dem Dachfirst. Der Beo beim Nachbarn flötet noch einmal sein nicht sehr umfangreiches Repertoire herunter. Es riecht nach Heu und nach blühendem Mais. Am Himmel wandert ein Licht entlang.
"Das ist ein Satellit", sage ich.
"Nein, ein Flugzeug", widersprechen die anderen.
"Nein, das muss ein Satellit sein, denn es blinkt nirgends und zieht auch viel zu schnell seine Bahn."
"Nein, es ist ein Flugzeug auf der Route Lisboa- Porto", sagen die andern.

Ich würde so gerne mal Recht haben.

Eine Sternschnuppe saust von links nach rechts auf ihrer eigenen Route . "Huch", sage ich und vergesse vor Begeisterung, mir etwas zu wünschen.

Es ist so friedlich.
Nur in der Ferne grummelt es.
"Kommt da ein Gewitter?" fragt Tante Edith.
"Nein, das sind die Böllerschüsse, die ankündigen, dass jetzt irgendwo auf einem der Nachbardörfer das Konzert und der Tanz beginnen. Sowas fängt hier nachts um 22 Uhr an oder noch etwas später. Jetzt im August sind auf allen Dörfern die Romarias, die Feste zu Ehren Unserer Lieben Frau. Und aus Freude schießt man(n) ständig Raketen und Böller ab."
"Finde ich nicht schön", sagt Tante Edith, "es hört sich so an wie ferner Geschützdonner und erinnert mich zu sehr an den Krieg,… damals, als wir aus Pommern flüchten mussten."
"Ich finde es auch grauenhaft", sage ich und freue mich über die Bestätigung. (Endlich mal einer, der mich versteht.)
"Aber die Leute hier finden es wundervoll, vor allem die Männer. Sie lieben diesen schönen männlichen Krach. "
"Naja, sie haben auch den Krieg nicht mitgemacht", sagt Tante Edith, die als junge Frau mit 23 Jahren auf die Flucht gehen musste. Mit drei Kindern:  ein Baby lag im Wagen, die anderen beiden Kleinen gingen neben ihr. Ihr Mann, mein Onkel, war in Kriegsgefangenschaft geraten.

Wieder werden im Nachbardorf mehrere Böllerschüsse abgegeben.
"Die Front rückt näher!" sagt Tante Edith.
"Die Russen kommen", sage ich, und wir lachen, aber schön finden wir diese Geräuschkulisse nicht. Sie erinnert an schlimme Jahre: Kriegszustand.

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