3. Fortsetzung: Herzlichkeit

Verfasst am: 1. August 2003 von Barbara Keine Kommentare

Der Herzlichkeit und Liebe des Padre ist auch zuzuschreiben, was weiterhin geschah und uns in Erstaunen versetzte.

Nach der Messe setzten sich jedoch erst einmal alle Kirchenbesucher in Bewegung und fuhren zu dem großen Festsaal in einem Nachbarort, wo das Jubiläumsmahl eingenommen werden sollte. 350 Gäste rollten in ihren blitzenden Autos und im Sonntagsstaat heran, plauderten bis zum Eintreffen des Ehrengastes, begrüßten sich gutgelaunt – unsere ganze Dorfprominenz war vertreten – und verteilten sich dann an die runden festlich gedeckten Tische.
Wir  waren gerade in der Unterhaltung mit einer mexikanischen Schwester begriffen, die hier mit anderen Mexikanerinnen im Altersheim arbeitet, als der Jubilar uns bat, ihm aufs Podium zu folgen und dort an der Tafel Platz zu nehmen. Bei jeder Hochzeitsfeier ist der Tisch für das Brautpaar, die Eltern und Paten oben auf dem Podium gedeckt, da sitzen sie dann und schauen auf die muntere Schar herunter.  
"Wie denn? Da oben?" stotterten wir.
Warum das denn?
"Wie?" fragte ich, " ich auch?"
Denn da oben saßen neben dem Padre der Bischof von Aveiro, der Generalvikar und drei Kirchenvorsteher. Warum lud er uns ein, dort oben zu thronen, warum machte er das? Aber wir hatten keine Chance, uns zu zieren, denn schon saßen wir oben im Präsidium neben dem äußerst liebenswürdigen und weltgewandten Herrn Bischof, während 350 Geburtstagsgäste uns zusahen und jede Bewegung beobachteten. Sie schienen sich genauso wie wir zu wundern, was wir da bei den Kirchenmännern zu suchen hatten.
Ich frage mich immer noch, warum der Padre diese Einladung ausgesprochen hat. Alle wissen doch, dass wir evangelische Pfarrrersleute sind, Fremde und Emigranten. Hinzu kommt, dass wir uns gesellschaftlich und sprachlich nicht so sicher in der katholischen Hierarchie bewegen. Der von Volkmar zitierte Satz von Blaise Pascal trifft jedoch auf dieses Erlebnis genau so zu wie auf die Einladung des französischen Paters zur Priesterweihe mit dem Erzbischof:

"Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt!"

Ich denke, dass unser Padre an diesem  Ehrentag durch alle die Liebe, die man ihm entgegenbrachte, einmal mehr zu ungewöhnlichen Worten und Gesten fähig war, die ihm sein Herz diktierte, ohne lange zu überlegen, ob das nun ein geschickter diplomatischer Schachzug ist oder nicht. Sein liebevolles Herz diktierte ihm einfach, so zu handeln, wie er es tat.
Bei den Lobreden, die man hielt, fiel mir auf, wie dankbar die Gemeinde sein Geschick pries, mit Finanzen umzugehen. So belastete er niemals die eigene Pfarrgemeinde mit seinen Bauprojekten, sondern war nach Amerika gereist, um dort Spenden zu erbitten und von den reichen Portugiesen in Übersee Geld herbeizuschaffen. Dass sie bei den Bauvorhaben nicht so unter Druck gesetzt wurden, aber doch Arbeitsmöglichkeiten und Gewinn durch ihren Pfarrer hatten, das hoben die Gratulanten besonders hervor. Ja, ihr Padre! Er ging im Verlauf des Nachmittags von Tisch zu Tisch, begrüßte jeden der Gäste, ließ sich umarmen und küssen und auf den Rücken klopfen, ließ sich berühren und beschenken, beantwortete die neugierigen Fragen der Bewohner aus den andren Dörfern, wer denn die beiden Fremden da oben seien, kam manchmal wieder an den Podiumstisch zurück, legte seine Geschenke ab, erklärte uns Geber und Gabe und sagte: "Diese Dankbarkeit und Freude gibt mir viel Kraft." Ich konnte es kaum fassen, dass ein älterer Herr von morgens bis abends so unermüdlich Hände schütteln und Küsse ertragen kann.

Dieses Festmahl – ich will es kurz machen – dauerte nämlich 6 Stunden.

6 Stunden saßen Hagen und ich oben auf der Bühne, lächelten, plauderten mit dem (Tisch-)Herrn Bischof und nach seinem Abschied mit dem Pfarrer, wurden als erste bedient und eifrig beäugt, speisten ganz vornehm und zurückhaltend, nippten nur dezent am Weinglas und wunderten uns.

"Greifen Sie zu, fühlen Sie sich wohl hier bei uns, essen und trinken Sie, was Portugal für Sie bereithält", sagte der charmante Herr Bischof, der seine Leutseligkeit dadurch unter Beweis stellte, dass er seinen grauen Bischofsrock auszog und im grauseidenen Bischofshemd dinierte.  Ich empfand diese Worte so, als spreche er zu uns als Stellvertretern für alle evangelischen Mitbrüder und –schwestern und gleichzeitig für die ausgewanderten Portugiesen in Brasilien, Venezuela, Frankreich, Deutschland, in der ganzen Welt… ("Heute sind wir alle eins" , oder wie Volkmar schreibt: "Ich habe selten so viel Solidarität empfunden oder erfahren." Und auch wenn wir nicht gemeinsam zum Abendmahl gehen: "On reste quand même en communion! – Wir bleiben trotzdem in Gemeinschaft!" )

Außerdem legte sich die Befangenheit, als  mir klar wurde, dass es auf meine theologischen Darlegungen und Gesprächsbeiträge heute und hier gewiss nicht ankomme, einmal nicht wegen des Festanlasses, schließlich ging es allein um das 50jährige Priesterjubiläum, und zum andern, weil ein katholischer Bischof ja wohl doch keine Ahnung hat von den Fähigkeiten einer "fröhlich springenden Pfarrfrau".

Also genossen wir die traditionelle Menüfolge: Brot, Oliven, Wein – Vorspeise (Melone und Schinken) – Suppe – Fisch – Spanferkel – Obstsalat – und dann die überdimensionale Buttercremtorte, die der Jubilar (wie eine Braut die Hochzeitstorte) anschnitt und verteilte.

Vor allem genoss ich die väterlich-zärtliche Liebe des alten Priesters zu seiner Gemeinde und zu den fremden Gästen.
Wir, die "vaterlose Generation", haben solche Liebe nie erfahren.

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