Schafherden

Verfasst am: 8. April 2003 von Barbara Keine Kommentare

Nichts wirkt auf mich österlicher als der Anblick weidender Schafe auf grünen Wiesen. Jeder Grashalm glänzt in der Sonne, dazwischen blüht gelb der Hahnenfuß, in den Hecken des blühenden Weißdorns zwitschern Vögel. Der cove alto, der hochstämmige Kohl, steht so stramm um jedes Gartengrundstück, dass man meint, da salutiere eine Palastwache. Und manchmal sind sogar die Fenster der  Bauernhäuser geöffnet, damit der muffige Geruch des Winters ausziehen kann. Es  ist hier jetzt so lieblich frisch und frühlingshaft wie  - bei uns im hohen Norden Deutschlands – im Wonnemonat Mai. Wie man sich das so bilderbuchmäßig vorstellt. Weiße Wattewölkchen  am himmelblauen Himmel, dottergelbe Rapsfelder, schimmernde Seen, grüne Auen mit weidenden Lämmern.

Da müsste ich doch ein Gedicht machen…
"Mein Herz geht wie ein Lämmerschwanz" oder so.
Aber das hab ich früher schon gemacht.

Die rückkehrenden Kraniche, die in strengen Formationen mit heiseren Schreien am Himmel nach Osten ziehen…  Das ist Frühling.

Und die Schafherden auf grüner Au. Hier in den Niederungen an Portugals Küste sind die Herden nicht so groß wie in den Bergen. Hier sind die Schafe schon seit Wochen geschoren. Es gibt hier auch schon viele Lämmer bei den Herden. Munter springen die weißen Lämmchen zwischen den kahlgeschorenen Muttertieren herum. Das wirkt so lebendig, so aufbruchmäßig, so frühlingsfrisch und hoffnungsvoll.

Aber dieses holde Frühlingsidyll meine ich eigentlich gar nicht. Am meisten berühren mich die wandernden Schafherden in den Bergen, in den kargen Landstrichen der Serra.
Wenn ich den riesigen Schafherden mit ihren Hirten begegne, wie sie von Weide zu Weide ziehen, von so vielen Gefahren umgeben, mit so vielen Unannehmlichkeiten konfrontiert, immer rastlos unterwegs, auf Nahrungssuche, angetrieben von den Hunden, eingeengt von Autostraßen und Bahnlinien – wird doch ihr Lebensraum immer mehr beschnitten – , dann rührt mich dieses Flüchtlingslos so tief zuinnerst an. Was für ein Leben!
Andauernd wird ihnen das Fell über die Ohren gezogen, andauernd müssen sie weiterziehen. Wo ist denn das frische Wasser, wo ein frischer Bach? Wo sind die grünen Matten geblieben? Wo ist ihnen der Tisch bereitet? Ihre Bestimmung ist eigentlich doch nur,  geschlachtet zu werden.

Da traben sie unermüdlich dahin, mit gesenktem Kopf nach ein paar Halmen und Zweigen mit grünen Blättern suchend. Traben dahin, ohne zu wissen, wohin es geht. Sie haben wahrscheinlich keinen Instinkt wie die Zugvögel und sind auf die Hirten, die Hunde und den Leithammel angewiesen.

Mich rühren die zarten Beine, die zierlichen kleinen Hufe, die zerbrechlich wirkenden Trippelbeine. Mich rührt der blinde Drang, in der Herde mitzutrippeln. Mich rühren die trächtigen Mutterschafe, die kaum Zeit zum Lammen haben, die ihre Jungen schnell auf die Beine bringen müssen, damit sie weiterziehen können – ja, wohin? Wohin? …zum Schlachthof, zur Schur. Und dieser Hirte, der nicht spricht und doch so viel weiß.
Und dann die vielen Vergleiche, die da aufsteigen und hochkommen, die altbekannten Vergleiche. Die biblische Sprache und die lutherischen Redewendungen.

Also, ich muss immer weinen, wenn ich so eine wandernde Herde betrachte.

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