Dorfjugend

Verfasst am: 10. Januar 2003 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,

du weißt ja, leider verstehe ich nicht immer alles so genau, dass ich sofort übersetzen könnte, was mir die Leute im Dorf  erzählen. Besonders die älteren Menschen sprechen sehr undeutlich mit ihren zahnlosen Mündern und bewegen dabei kaum die Lippen, und wenn ich sage, dass ich nicht alles verstanden habe, dann wiederholen sie ganz laut ihren Satz, als sei man schwerhörig oder schwachsinnig. Dabei weiß oder ahne ich jedoch immer ziemlich sicher, was sie mir da mitteilten.
Zum Beispiel drückte mir ein frommer Großvater neulich nach dem Gottesdienst die Hand und sagte stolzerfüllt und mit leuchtenden Augen etwas, das auf jeden Fall bedeutete: "Unser Dorf wird immer besser", – "mit unserem Dorf geht es aufwärts", -"wir sind ganz groß im Kommen", – "ist unser Dorf nicht großartig?" – oder so ähnlich. Jedenfalls sagten das sein Händedruck, seine blitzenden Augen, seine geröteten Wangen. Und er schaute dabei glücklich auf die große Gruppe der Jugendlichen, 20 oder 30 junge Leute sind es mittlerweile, die sehr lebendig in der Gemeinde mitmachen, die sich ständig treffen und viel unternehmen. Und mit den vielen Kommunionskindern und den Jugendlichen blüht so ein Dorf doch wirklich auf, verjüngt sich und lebt.

Einen eigenen Treffpunkt hat ihnen der Padre jetzt auch gegeben: das Haus seiner verstorbenen Haushälterin, das nahe bei der Kirche und bei Césars Café am Dorfplatz liegt und seit dem Tode der Dona Almira leer steht.
Gibt es sonst noch ein Dorf mit einem eigenen Jugendhaus?
Gibt es sonst  irgendwo einen kirchlichen Jugendtreffpunkt?

Am Dreikönigstag zogen diese Jugendlichen von Haus zu Haus und machten Musik auf einer Trommel, einem Saxophon, Kinderinstrumenten. Sie sangen das  Janeiraslied aus dem Kindergarten mit dem Refrain: "Rámtatatatam – Rámtatatatam-Ramtatatám".
Der Padre hatte diese Aktion morgens abgekündigt, damit man die Jugendlichen auch einlässt.

"Was macht ihr mit dem eingesammelten Geld?" fragten wir.
"Wir  machen ein gemeinsames Essen und dann wandern wir gemeinsam nach Fatima", sagten sie.

Welch schönes Ziel!
Mich erinnert diese Dorfjugend sehr an unsere kirchliche Jugendgruppe damals in Witten, und ich bin richtig traurig, weil ich plötzlich merke, wieviele Jahre seitdem vergangen sind. Wir haben uns damals auch glühend und leidenschaftlich begeistert für das Reich Gottes, wir haben uns "eingebracht" im Gottesdienst, sangen im Chor, hielten Sonntagsschule, waren ständig für den Herrn Jesus unterwegs, machten Wanderungen und viele lustige Spiele, dumme Streiche und flotte Sprüche. Und in der Adventzeit zogen wir herum und besuchten ältere Gemeindemitglieder und sangen begeistert mehrstimmige Lieder, zündeten Kerzen an und stapften weiter durch die Dunkelheit und den Schnee.

Allerdings wäre niemand auf die Idee gekommen, uns dafür Sekt auszuschenken oder gar eine Flasche Sekt zu geben. Ich erinnere mich nicht, dass es jemals Alkohol gab.  Außer der Erdbeerbowle beim Studienabschluss-Sommerfest in Steppuhns Gartenlaube habe ich niemals Alkohol getrunken, nicht mal das für einen Studenten standesgemäße Münsteraner "Pinkus Müller Altbier".

Eine Flasche Sekt für die Sternsinger scheint hier allerdings selbstverständlich zu sein, gehört wohl zum Leben dazu, -  Brüder, lasst die Korken knallen, und hoch die Pappbecher! – man lebt schließlich mitten im Weinbaugebiet und im Überfluss.
Andere Zeiten, andere Sitten.

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