Höhlenbewohner

Verfasst am: 8. Januar 2003 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,

das Schönste hier in Portugal ist das Licht.
Ja, das Licht.
Ein heranbrechender Morgen, ein strahlender Vormittag, ein gleißender Mittag, eine helle Nacht.  
Es ist wahr: Die Nächte hier sind wirklich hell. Von der "luziden" Nacht schreibt E.M. Remarque in seinem Roman "Die Nacht in Lissabon" so begeistert, dass ich ihn deswegen liebe, obwohl ich sonst gar nichts mit seinen Büchern anfangen kann.  Schon der 2. Satz dieses Romans machte mich zu seinem Anhänger: "Obwohl ich seit einer Woche in Lissabon war, hatte ich mich noch immer nicht an das sorglose Licht dieer Stadt gewöhnt." Das sorglose Licht –

Aber wie soll man Unsagbares und so sehr Wechselhaftes beschreiben ?
Ich müsste ein Maler sein und dieses Licht  festhalten können.
Oder noch besser: ich müsste ein See sein, der das Licht widerspiegelt. Ein See aus dem angesammelten Regen, der auch vom Himmel kommt. Lus de lus.

Ja, das Licht in diesem Land an der Atlantikküste ist großartig.

Um so mehr nimmt es uns wunder, dass sich die Menschen hier immer in ihren dunklen, oft fensterlosen Häusern verkriechen. Im Sommer sitzen sie hinter den geschlossenen Fensterläden und Türen in der hintersten Küche, wo manchmal nur eine Sparlampe den Raum erhellt. Na gut, denken wir, das ist gut wegen der Fliegen.
Auch die Tiere stehen in dunklen engen Ställen, in denen sie sich nicht bewegen können und in die kein Lichtsrahl fällt.
Aber auch im Winter (ohne Fliegen) bleiben die meisten Menschen hier in den abgedunkelten Räumen, meistens in den Nebengebäuden oder in der Wirtschaftsküche sitzen, wo der Kamin flackert und meistens noch dazu der Bildschirm flimmert oder dieses bläuliche Zucken, Alarmleuchten und -blitze versendet.

Wenn wir jemand besuchen, finden wir ihn niemals in seinem Palast-Wohnhaus, und wir gehen gleich durch das Hoftor in den hinteren Trakt der Gebäude, dort rumort immer jemand in dicken Jacken und Wollstrümpfen herum oder sitzt trübsinnig bei einem Holzscheit am offenen Herd und wärmt sich die Hände.

Neulich haben wir in einem Raum  zu Mittag gespeist, der überhaupt keine Fenster hat. Das war keine Ausnahme. Solche Zimmer gibt es viele auf dem Dorf. Es sind die beliebtesten Aufenthaltsorte. Das elektrische Licht war sowas von sparsam, dass es an die rauchenden Kienspane der Urmenschen in ihren Felsenhöhlen erinnerte. Sicher sind die Menschen hier auf dem Lande Nachkommen der Höhlenbewohner.
Sie konnten es ja auch gar nicht verstehen, dass wir so viele Glastüren und  riesige Fenster einbauen ließen, und sie warnten vor der stechenden Sonne, die alles zerstört und krank macht. "Der Sonne" ist böse und stark, ein tötender, kriegerischer Sonnengott – wie man weiß.  
Und wir sind so glücklich mit unserem sonnendurchfluteten Raum, denn wenn nach dem Regen der Himmel aufreißt und leuchtet, erhebt sich die Seele, wird das Herz weit, erfasst mich ein unbeschreibliches Glück.

Natürlich mussten wir 2 Fenster wieder zukleben und vergittern, das ist ja bekannt, aber das ist eine andere Geschichte vom "Frömmsten, der nicht in Frieden leben kann, weil es dem Nachbarn nicht gefällt".  Vielleicht erleuchtet aber auch diesen Höhlenbewohner eines Tages das portugiesische Licht.

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