Negerlein

Verfasst am: 8. Dezember 2002 von Barbara 1 Kommentar

Lieber Claudio,

gestern habe ich mich sehr aufgeregt, ohne dass in meiner Umgebung irgend jemand mein Problem verstanden hätte.

Wir waren zu einer Buchvorstellung eingeladen worden. Der Autor, der 20 Jahre in Angola gelebt hat, hatte seine Erinnerungen aufgeschrieben. Sein Buch wurde nun von Freunden und Repräsentanten der Kulturszene gewürdigt. Das heißt, viele gewichtige Herren sprachen viele huldigende Worte – die portugiesische Sprache bietet ein reiches Spektrum für Würdigungen, selbst die Zuhörer werden als die dignissimos visitantes bezeichnet – , aber gelesen wurde nicht, keine Zeile aus dem Buch wurde zitiert. Man hätte dieses Buch auch mit einem beliebigen anderen vertauschen können. Es ging nur um die Würdigung des Schriftstellers und um die Tatsache an sich, dass da jemand ein Buch geschrieben hatte. Einer aus dem Ort, dessen Ruhm nun die anderen bekleckerte.

Damit nun aber überhaupt ein wenig auf den Inhalt des Buches hingewiesen wurde, hing vorne an der Wand eine große Bleistift-Zeichnung, das Papier hatte die Größe von 1,20 m mal 1 m. Es war eine Karikatur von einem kleinen Negerlein, das vor einer runden Hütte in der Wüste unter der Sonne stand. Eine wirklich üble Karikatur von einem dummen kleinen nackten Negerlein.

Stellt sich wirklich noch irgend jemand so die Menschen in Angola vor?
Das Kerlchen hatte einen überdimensional dicken Kopf auf einem dünnen Hals, der zu einem elend mageren Kinderkörper mit dem typischen Hungerbauch gehörte. In Höhe der Hüfte war die Zeichnung abgeschnitten. Eine Missgeburt ohne Beine, die nicht einmal Mitleid erregte.

Dieser Kinderkopf mit dem Kraushaar, der platten Nase und den riesigen Wulstlippen erregte kein Mitleid, – höchstens mit dem Menschen, der sowas gezeichnet hatte. Am schrecklichsten waren die Augen. Dieses karikierte Negerlein aus irgend einer Satirezeitschrift oder aus einem Rassismusprogramm  s c h i e l t e  entsetzlich. Sowas von schielenden Augen!

Ich war so empört.
Ich war so betroffen. Ich bin nämlich betroffen.
Ich zittere jetzt noch vor Aufregung.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen hier so naiv sind, dass sie ein solches Bild von Angola und von Angolanern haben.  Weißt du, … Die Kolonialherren und die armen kleinen Schwarzen, denen man erst den aufrechten Gang beibrachte.
Es ist einfach diskriminierend.

Später stellte man den Jüngling  vor, der diese Zeichnung als Geschenk für den Autor angefertigt hatte, passend zum Thema Angola. Hatte der denn noch nie im Fernsehen  Angola und seine Bewohner gesehen? Weiß der denn nichts von den Kriegen dort? Und von Schuld?

O Mann, das war ein schlimmer Abend, weil ich keinen Mut hatte, das Bild von der Wand zu reißen, und weil ich die Sprache nicht beherrsche, um zu erklären, warum ich es von der Wand reiße, und zu sagen, was mich daran kränkt und beleidigt und verletzt.

O Wahnsinn.

Und wieder einmal singe ich das Lied "Von der großen Kapitulation" –
und beschwere mich nicht.

Eine Antwort

  1. Jung schreibt:

    Vielleicht liegt das Problem an der Randlage Portugals. Eigentlich hat das Land in seiner Geschichte ja eine gewisse Größe aufzuweisen. Man hat mal die Welt entdeckt, die vom Islam abgeschottet war, man ist ja im Grunde sehr groß. Und in seinem Getto hinter der Grenze zu Spanien, sprich zu Europa, war man immer der Größte. Jetzt strömt dieses Europa nach Portugal, mit dem vielen Geld, um das zurückgebliebene Land aufzupäppeln. Wo bleibt da die Größe? Müssen also die "Negerlein" herhalten, die dann als noch mehr zurückgeblieben dargestellt werden. In den Vereinigten Staaten gibt es die "poor whites", soziale Absteiger, die sich an den "Niggern" schadlos halten.

    Ich wundere mich manchmal auch in Frankreich über den Nationalismus. Paris ist die eigentliche Hauptstadt Europas, die Franzosen sind eigentlich immer noch die "grande nation". Man ist als Ausländer nur in dem Maße anerkannt, als man den Franzosen spielen kann.

    Ich habe den Eindruck, dass die/wir Deutschen inzwischen viel multikultureller geworden sind als viele unserer europäischen Nachbarn. Die Türken sind in Berlin und anderswo viel stärker anerkannt als zum Beispiel die Nordafrikaner hier in Frankreich. Und die Neo-Nazis mit ihrem dummen Spruch, stolz auf ihr Deutschtum zu sein, sind doch vergleichsweise wenige zu der rechten Welle des LePenismus hier in Frankreich.
    Aber solche Bilder wie das beschriebene sollte man in der Tat runterrreißen. Wo waren da die betroffenen Portugiesen? Ich glaube, in Deutschland wäre solch ein Bild bei einer ähnlichen Veranstaltung
    wohl nicht mehr möglich gewesen. Und das tröstet einen inzwischen.
    Herzliche Grüße
    Volkmar
    Volkmar

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