Das Haus neben der Kirche

Verfasst am: 19. Oktober 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio!
Gestern nacht warteten wir wieder lange vor der Kirche auf den Chorleiter. Aber nicht nur wir standen da und redeten und lachten, sondern auch 15 oder 20 Jugendliche mit ihren Mofas, Motorrollern und Fahrrädern hatten sich  auf dem Dorfplatz versammelt. Da wächst jetzt eine ganz neue Generation heran, mir war das schon am letzten Wochenende aufgefallen.

In die Chorübstunde am Freitagabend waren ein paar Mädchen mit ihren Müttern mitgekommen, hatten sich in die hinteren Bänke gesetzt und gekichert und auch mitgesungen. Bald kamen die Jungen dazu, die als Messdiener und Chorsänger in der Kirche zuhause sind. Diese verliebten jungen Leute gaben dem Chor und dem Gesang ganz neuen Auftrieb.

Und am Sonntag waren sie natürlich alle wieder da als Lektoren, Kollektensammler, Sänger und Katecheten. Auch aus dem Nachbarort hatten sich einige 16jährige Jungen dazu gesellt. Hinterher soll der Padre, der Rektor des ganzen Kirchenbezirks,  zum Küster gesagt haben, dass der Chor unseres Dorfes besser ist als der in der Mutterkirche. Wir nahmen diese Kunde gelassen zur Kenntnis, denn das wissen wir schon lange.
Ich glaube aber, diese Jugendlichen, ihre Liebeleien und die knisternde Spannung tragen viel dazu bei.  Und ich finde es schön, dass sie in der Kirche ihre Heimat haben, einen Treffpunkt und viele Aufgaben. Man kann sich doch wunderschön darstellen und in Szene setzen, wenn man am Lesepult steht, Geld einsammelt, zur Eucharistie schreitet oder kräftig im Chor mitsingt.

Als nun alle auf dem Platz vor der Kirche im Mondenschein standen und erzählten und lachten, kam aus dem unbewohnt wirkenden Häuschen neben der Kirche eine schwarzgekleidete Alte heraus, suchte sich zwei der Großväter heraus und begann zu keifen, dass die vielen Jugendlichen sie in ihrer Ruhe stören. Sie würden singen und lachen und mit den Mofas knattern und laute Musik machen, und das alles vor ihrem Haus. Das gehe nun schon seit einer Stunde so. Sie will ihre Ruhe haben.

Ich habe diese dicke alte Frau noch nie gesehen, sie ist bei keinem Fest dabei, sie nimmt nie an einem Gottesdienst, einer Prozession oder Versammlung teil, ich wusste gar nicht, dass in dem Haus mit den geschlossenen Fensterläden überhaupt jemand wohnt, und hatte angenommen, es gehöre einem Emigranten und warte auf dessen Heimkehr.

Die Jugend kümmerte sich gar nicht um das Lamento der alten Vettel, die Eltern verdrehten bei ihrem Gekeife die Augen zum Himmel und gaben ihr ein paar Widerworte, Onkel Manuel murmelte etwas Beschwichtigendes, und der Chorleiter sagte einige Male „Exactamente, ganz richtig, genau!“ und ließ sie stehen.

Was für eine Ruhe will diese unzufriedene alte Frau eigentlich haben?
Sie ist Witwe, hat keine Kinder, hat weder Hund noch Katze, hat keine Freunde im ganzen Dorf, hat niemals Besuch… Sie lebt jetzt schon als Mumie in ihrem (Sarg)Haus.
O süße Grabesruh… Gute Nacht.

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