Christian und David

Verfasst am: 3. Oktober 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,
von einer schönen Begegnung mit zwei  10 Jahre alten Knaben aus unserem Dorf möchte ich dir heute berichten. David und Christian.

Sie kamen am Sonntag nach der Messe, wo sie artig gesessen und furchtbar gegähnt hatten, mit ihren Mountainbikes angeprescht und klopften bescheiden ans Hoftor: "Wir möchten gerne die Ausstellung sehen."

Vor den ersten beiden Collagen-Bildern im Foyer blieben sie stehen und staunten überrascht: "O, ganz modern!" Es sind die Collagen von Gerlinde Grossmann, ca. 120 x 70 groß, mit den vorwiegend rot-gold-türkis-blau-grau gestalteten Flächen auf schwarzem oder weißem Grund. Dann sagte David noch: " Das ist sehr schön. Das mag ich. Da ist ein Katzenohr."

"Und was seht ihr noch?"

Ich führte sie an den Bildern vorbei, und sie sagten , erst leise, dann immer mutiger, was ihnen einfiel: " Schau mal, das hat der Padre auch, siehst du, das goldene… da!" ( das Bild heißt "Altäre"), "Das ist Halma", "Nein, ein Schachbrett", "Das ist  die Sonne, ja, das ist Sonnenuntergang".

"Du, David, das Bild heißt wirklich Sonnenuntergang!"

Er strahlte und übertrumpfte seinen Freund bei den nächsten Bildern mit seinen erstaunlichen und zutreffenden Kommentaren: "Das Bild ist traurig", meinten sie zu "Martyrium" (ich finde es überhaupt nicht bedrückend),  "Das hier finde ich am schönsten, da sieht man drei verschiedene Flächen übereinander", "Das ist eine Schreibmaschine" (das Bild heißt "Unbeschriebenes Blatt"), "Hier sind zwei ganz gleiche Formen, wie eine Brille" –

So redeten sie.

"Und was seht ihr hier?" fragte ich sie vor dem Bild "Kultus".

"Eucharistie", sagte Christian.

Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf vor Bewunderung und Begeisterung und Staunen. Was für tolle Kinder! Was für eine natürliche und ursprüngliche Begabung! Das sind nun 10 jährige Lausebengel vom Dorf – sind sie nicht hinreißend?

Der Maler Victor hatte bei der Vernissage ins Gästebuch geschrieben:
" Die Eleganz der Dinge besteht darin, nicht zu bestätigen, sondern anzuregen."

Trotzdem gab ich ihnen zum Schluss die Liste mit den Bildertiteln, und sie gingen noch einmal von Bild zu Bild, lasen die Titel und entdeckten immer mehr: "Sieh mal,  das da!", tuschelten leise über ihre Ansichten und studierten sehr kritisch und intensiv jede einzelne Collage.

"Und diese Frau hat das also gemacht?" Sie betrachteten das Foto. "Die kenne ich", sagte David, "die habe ich schon mal gesehen, die kenne ich gut."

Natürlich hatte er sie noch nie gesehen, wie denn auch?
Aber gibt es ein schöneres Lob und einen vertrauteren Umgang mit Kunst, als nach einem Galeriebesuch zu sagen: "Die Malerin oder die Künstlerin kenne ich" ?

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