The hot-blooded wife

Verfasst am: 14. September 2002 von Barbara Keine Kommentare

Die Frau des Blacksmith

Lieber Claudio,
manche Leute – es gibt schrecklich langweilige und phantasielose Zeitgenossen – stehen vor den Aufzeichnungen ihrer Familiengeschichte, betrachten angeödet die Daten der vergangenen Generationen, lesen desinteressiert den Stammbaum und studieren ohne jede innere Bewegung dieses unglaubliche Kraftfeld.

Nicht so mein Bruder, der höchst angeregt die Bemerkung seines texanischen Vetters über die "hot-blooded" Urgroßmutter Henriette untersuchte und die köstlichsten Erklärungen und Kommentare dazu gab.

Kann man denn vor der Lücke im eigenen Stammbaum die Augen verschließen? Muss man dieser Sache nicht nachspüren?  Wie kann es sein, dass der Sohn einer ehrbaren Jungfrau mit dem Mädchennamen Müller genau denselben Familiennamen Müller hat wie diese?? Hat sie vielleicht einen Mann namens Müller geehelicht? Oder ist Sohnemann Müller gar …?

Hier im Dorf heißt übrigens jeder nach seiner Mutter, da ist dann die Genealogie völlig undurchschaubar und um so mysteriöser, und für Außenstehende ist es total unklar, wer der Erzeuger ist. Auf die Mutter kommt es an!

Doch zurück zu Henriette.
…  "Und Henriette pflückte Klatschmohn,
     Henriette, Henriette,
     oh."
Unser weitläufig verwandter Vetter aus Texas nennt sie "heißblütig", weil sie als junge Witwe mit drei Kindern den Schmiedegesellen August heiratete, der bis zum Tode ihres Mannes in der Schmiede gearbeitet hatte.  Sie war 37 und er war 24. Sie bekamen noch zwei Kinder und wanderten dann im Jahre 1880 nach Texas aus.

"Ach", erklärt mein Bruder, " war das nicht eher kühler Verstand als heißes Blut, wenn Henriette ihre Kinder und sich auf diese Weise versorgte und die Schmiede einen kompetenten Nachfolger fand, der nun unabhängig war?"

Er kombiniert weiter: "Vielleicht aber war alles ganz anders, – also, die 13 Jahre ältere Henriette und der wackere Geselle August brachten den Meister um ("Mord in der Dorf-Schmiede"), weil sie in heißer Liebe zu einander entbrannt  waren und der Alte ihnen im Weg war. Wer weiß das schon?
Und warum mussten sie auswandern?
Konnte er das Eisen nicht mehr schmieden, weil es erkaltet war?"

Und nun folgen einige literarische Beispiele  mit ähnlich gelagerten Fällen.

Wusstest du, dass das holde "Ännchen von Tharau" ebenfalls eine ältere Pastorenwitwe war, die nach dem Tode des Gatten den jungen Vikar heiratete, wie es damals üblich war?

Da erinnere ich mich an die Familiengeschichte meiner alten Freundin, die aus Köntopp in Hinterpommern stammte. Ihre Ahnfrau war ebenfalls eine Pastorenfrau, die als Witwe mit dem Pfarrhaus und der Pfründe von der Kirchenleitung dergestalt versorgt wurde, dass sie den jungen Vikar heiraten musste, den man ihr zuschickte. Das  regelten die Kirchenräte damals so, und alle waren es zufrieden. Der viel jüngere neue Gatte tat auch brav seine Pflicht und zeugte ein Zwillingspaar. Doch als er an einem Karfreitag auf seinem See angelte, ertrank er – allein dieser schillernde Satz in der Kirchenchronik bringt mich fast um meinen klaren Verstand, hör dir das mal an, lass es dir auf der Zunge zergehen:
"Am Karfreitag des Jahres 1824 beim Angeln ertrunken."

Am Karfreitag angeln, da muss doch der Blitz dreinschlagen.

Wieder schickte der Landesbischof einen jungen Geistlichen, der die Lücke schloss. So verschliss die pommersche Pfarrfrau drei knackig-junge Geistliche. was für eine Urahne!

Ich habe die alte Dame aus Köntopp -  sie ruhe in Frieden – um diesen munter treibenden Zweig in ihrem Familienstammbaum bis heute heftig beneidet. Wie gerne würde ich einen ganzen Stammbaum adoptieren…

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