Flussfahrt

Verfasst am: 12. August 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,

kürzlich sind wir wieder am Douro entlanggefahren wie vor 18 Jahren bei unserem ersten Portugal-Besuch. Damals hatten wir José besucht, der auf einer großen Quinta entlassene Strafgefangene resozialisierte. Es war ein bewundernswertes christliches Projekt, und die Autofahrt durch die grünen Täler war ein unvergessliches Erlebnis. Seitdem träumten wir davon, das alles wiederzusehen – so wie ein japanischer Tourist von einer Rheinfahrt träumt, vorbei an Burgen und Weinbergen, an der Lorelei vor allem, wo dann der Kapitän die Platte mit dem Sirenengesang „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ auflegt.

„Und da fährt auch eine Eisenbahn!“ hatte Heinz gesagt und die wundervolle Reise schon einmal ausprobiert.
Na, das müssen wir doch erleben, in einem Bimmelbähnchen an den Flußwindungen entlang bis zur letzten Station Pocinho, „Brünnchen“, das muss wunderbar sein.

Es war wunderbar!
In Porto bei grauem Morgennebel stiegen wir ein, jeder Platz war besetzt, – wohin wollten die alle fahren?
Ins Blaue?
Ins Grüne?
Alle Mitreisenden waren begeistert, begeistert, wie eigentlich nur Kinder begeistert sind – außer einer sehr alten Frau, die sorgsam eine Banane aß und danach einen Heftchenroman las, was völlig anachronistisch wirkte – , schauten aus dem Fenster, liefen hin und her, erzählten in einem Atemzug, wen sie besuchen werden und dass diese Reise etwas Wunderschönes sei, schon damals, als sie Kinder waren, hätte es sie entzückt, mit der Bahn den Douro hinauf zu fahren, und als Emigranten hätten sie immer Sehnsucht nach diesem Tal und dem Wasser und den Bergen, schauen Sie mal dorthin, die schönen Schlösser der Portweinkellereien!

In Regua hielt der Zug etwas länger, manche Reisenden hüpften mal eben aus dem Zug und kauften irgendetwas ein, während wir die hübschen sauberen Bahnhöfe mit den dunkelblauen Azulejos betrachteten, die altmodischen Bahnhofsuhren, das „Cabinete de Chef“ und die netten „Retrete“-Häuschen für Senhores und Senhoras. Es machte alles den Eindruck einer längst vergangenen Zeit, die Bahnstationen wirkten in der hellen Sonne wie Zeichnungen auf hübschen Bilderbögen aus den Jahren der ersten Eisenbahn.

In Tua gab es Brot am Bäckerwagen auf dem Bahnsteig, und schon bald duftete es im Zug nach frischem Brot und nach leckeren Brötchen. „Da holen wir uns auf der Rückfahrt auch ein schönes weißes Brot!“ (Heinz sprang dann bei der Rückreise auch als erster vom Zug ab und kam schwer beladen wieder, und wir aßen das gute Brot und tranken uns satt an der Landschaft.)

An besonders schönen Wegbiegungen stürzten alle auf die eine Seite der Waggons und jubelten über ein Schiff auf den Fluten, eine prachtvolle Quinta hoch oben auf den grünen Hügeln oder den anmutig und breit dahinströmenden Fluss, der in der Sonne glitzerte und funkelte.

Schon auf der Hinfahrt hatte uns eine Gruppe glücklicher Männer begleitet, die wahrscheinlich einen Betriebsausflug oder eine Landpartie machten. Genau dieselben Männer, nun aber noch glücklicher und trunkener von der Landschaft (und vom Wein!), saßen auf dem Heimweg wieder im Zug und sangen – wie Kinder vor dem Einschlafen immer ein und dasselbe Lied. In  unserem Dorf singen die Männer, wenn ihnen danach zumute ist, das schwermütige Lied vom Ölbaumzweig: „O ramo de oliveira“.

Diese Männer sangen: „Azeitonas estao pretas“.
Oliven sind schwarz.

Oliven sind schwarz.
Weinberge sind grün.
Der Himmel ist blau.
Der Douro ist wunderbar.

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