Romantik

Verfasst am: 5. August 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,
eingetaucht in den grünen Zauber der Paradiesgärten des Kristall-Palastes, kam es mir vor, als sei ich ins 19. Jhdt. zurückversetzt worden. Hier ist die Zeit stehen geblieben – 2 Jahrhunderte sind vorbeigegangen, ohne diesen Park zu berühren. Vor dem schmiedeeisernen Tor braust der Verkehr, flimmert die Hitze, ragen moderne Wolkenkratzer, aber betrittst du diesen Park, meinst du berittene Kavaliere, Herren in grauen Gehröcken, mit Zylinder und Gamaschen und Damen mit Reifröcken und Schirmchen zu sehen.

Die Gebäude und Steinfiguren des Parks, den ein Deutscher, der Architekt Émille David, geplant hat, träumen von dieser alten Zeit, die Vergangenheit liegt wie ein Nebelduft, wie ein Gespinst über allem. Und wenn du ein altes Gartentor oder eine Haustüre öffnest, weht dir der Hauch dieser früheren Epoche entgegen. Wie oft habe ich das hier in Portugal schon empfunden. In Lissabon, in den Seitenstraßen von Aveiro, …
Diese verwunschenen Häuser –
"Hier in Portugal ist alles älter als anderswo", sagt Brigitta.

Ja, die alten Villen, die alten Bürgerhäuser -
Manchmal kommt es mir vor, als hätten sich die Bewohner diesen stilvollen alten Häusern angepasst, es ist alles beinahe unwirklich, unwahr…, und wir leben doch im 3. Jahrtausend!

In unserem alten Pfarrhaus am Rhein, wo Heinrich von Kleist mit einer Pfarrerstochter befreundet gewesen sein soll, wehte ja auch dieser Hauch, inspirierend wie alles, was mit der Rheinromantik zusammenhängt. Meine schönsten Deutschkurse über die Romantik, die alles andere alks Mondchein und Gitarrenmusik, Wein und  Gefühlsduselei war. Denke nur an das Brentanohaus in Winkel am Rhein, wo die derzeitige Gräfin Angela die Erinnerung an Goethe, Bettina, Clemens und Achim mit ihren Vorträgen und Matineen (Literatur und Musik und Weinproben – "Diesen Wein trank Goethe schon") wachhält.
Oder – weißt du noch – das Schloß und die Spaziergänge  in Heidelberg "auf den Spuren der Romantiker".

Diese so lebendige Erinnerung überkam mich, als wir im "Romantischen Garten" des Palácio de Cristal  das Museu Romântico aus dem 19. Jhdt. betraten, ein zweistöckiges Wohnhaus, das zur alten Quinta de Macieira und der Familie von Pinto Basto (war das nicht der Gründer von Vista Alégre?) gehörte. Gepflegte, müde Stimmung, gedämpfte Schritte, leise Gespräche, das kleine Töchterchen vom Portier trägt zwar einen rosa Spielanzug, aber ich sehe die Kleine im weißem Spitzenkleid und mit Florentinerhut… Ja, es ist wie im Brentanohaus, so lebten die Bürger Frankfurts in der Sommerfrische am Rhein, hier gaben sie ihre Teestunden, und einer las sein neuestes Werk vor, man plauderte, man sah einander bedeutungsvoll an ("Warum gabst du uns die tiefen Blicke…"), und die Günderode und Kleist spürten, dass sie in dieser Welt und in dieser Gesellschaft keinen Platz hatten. "Kein Ort. Nirgends." So  schrieb Christa Wolf.
Die Sänfte am Eingang, die Fensternischen mit hellen Gardinen, zierliche Stühlchen und Polstermöbel, Gemälde, Stiche vom alten Porto, ein Musikzimmer (die dreisitzige Causeuse "Vorsicht Friedmann"), ein Spielzimmer, der gedeckte Tisch im Speisezimmer ("Das wäre doch nicht nötig gewesen", flüsterte Heinz, der Geburtstag hatte).
Nein, museal ist das keineswegs, dieses "Romantische Haus" wirkt überhaupt nicht wie ein Museum. Schon gar nicht, wenn man eine Weile durch die Gärten spaziert ist.
Warum nahm man den Exilkönig Carlos Alberto, König von Piemont und Sardinien, in diesem Hause auf, wo er am 28. Juli 1849 starb? Ehrfürchtig bestaunen wir seine Kapelle ("der König betet"), seinen Wohnraum, seinen Schlafraum.

Und dann öffnet die Angestellte eine Balkontür, wir stehen auf einem kleinen Balkon  - oh,  herrlich, über die hängenden Gärten hinweg sieht man den Douro, sieht die Arrabida-Brücke, den Ozean in der lichten Ferne, wo Meer und Himmel zusammenfließen, die pulsierende Stadt, die Straßen am Ufer, die Portwein-Kellereien. So stand Goethe auf dem Balkon von Schloss Johannisberg und betrachtete die Weinberge am Rhein, betrachtete den deutschen Fluss, mag auch wohl wie wir tief (aber gewiss nicht so glücklich und überrascht) geatmet haben und schrieb Bemerkenswertes in sein Tagebuch.

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