Kinderspiel

Verfasst am: 15. Juli 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,
du meinst, es sei "kein Kinderspiel" (schöne Redensart!), eine Galerie zu betreiben. Ach ja, das ist manchmal wirklich ziemlich anstrengend! Was haben wir uns mit unserer Galerie LUAZUL nur eingebrockt! Am schwierigsten ist es gerade, wenn es ein Kinderspiel ist.

Da sind doch neulich 5 Kinder hier eingefallen, als wir die schöne Ausstellung von Olivia Vieira hatten. Ein Ehepaar (er Portugiese, sie Deutsche) kam mit seinem Zwillingspärchen und deren Freunden zur Besichtigung. Ich ringe immer noch um Fassung…
"Also, ich bin doch kein Abenteuerspielplatz", flüsterte ich vorwurfsvoll und sehr dezent, damit Hagen es hört, aber nicht die werten Gäste. Aber mein Mann hörte nichts, weil er intensiv auf die Besucher unserer Ausstellung einredete, er lässt sich nie durch meine banalen Bemerkungen ablenken, wenn es um höhere Dinge geht. Allerdings ging es bei mir auch um höhere Dinge, denn die Kinderchen waren die Treppe hoch gestürmt und machten das obere Stockwerk unsicher. Hätte ich doch bloß die Blumentöpfe auf der Treppe stehen gelassen, mit denen Ralf am Anfang die Treppe zugestellt und den Aufgang verbarrikadiert hatte. Das war eine liebenswürdigere Lösung gewesen als die Absperrseile und Kordeln, die wir früher in unserer Kirche vorfanden, wenn eine Kirchenälteste dort geputzt hatte. Die Frau nannten wir Cordula.
Aber Absperrseile hätten sowieso nichts genützt. Ganz schlau hatten die Schätzchen entdeckt, dass es von der alten Küche noch einen Zugang über den Speicher zu unseren Privaträumen gibt. Dort trieben sie nun ihr Unwesen, während wir uns ja um die anderen Besucher kümmern mussten. Solange die Kleinste die Türen aufriss und wieder zuknallte, zog ein anderer die Jalousien ständig rauf und ließ sie wieder runterkrachen, rrrrrratsch, ein wunderbares Spiel, aber vielleicht haben die Leute zu Hause keine Jalousien, und die Kinder müssen den freien Fall, die Fliehkraft und andere physikalische Gesetze ja mal kennenlernen, was am besten durch Anwendung geht. Probieren geht über Studieren.

Dann gab es einen Knall, darauf herrschte Stille, dann kamen sie zu fünft wieder herunter.
"Du, ich weiß jetzt, wo die hier ihren Computer haben", sagte einer der Schlauberger heimlich zum Papa.
"Aber lass ihn bitte stehen, geh nicht daran, bitte", bat ich zuckersüß, worauf die Erziehungsberechtigten meinten, portugiesische Schulkinder können sehr gut mit Computern umgehen .
"Jaja, das lernt man heute schon als Kind, wir dagegen haben öfter Schwierigkeiten…", pflichtete ich ihr bei.
"Genau", sagte die stolze Mutter, "und Sie haben auch noch sehr große Schwierigkeiten mit dem Portugiesisch. Ich werde Ihnen mal ein Buch leihen." Dann blickte sie bewundernd zu ihrem und meinem Gatten, die beide eine sicherlich kluge Unterhaltung führten: "Ihr Mann dagegen spricht sehr gut! Sie müssen eben einfach mehr reden."
Ja, aber mit wem soll ich gerade portugiesisch reden, wenn ich die ganze Zeit wortlos Scherben auffegen, den Hund suchen und trösten und die Überschwemmung im Badezimmer wegwischen muss? Ich bin als Zwillingsmutter wirklich gut in Form und kann schielend deren vielfältige Aktivitäten beobachten, aber hier war ich überfordert.

Immerhin konnte ich die Herzchen überreden, mal ein wenig in den Garten zu gehen. Doch das war eine sehr dumme Idee: Sie suchten sich Stöcke und hauten auf die Rosenkugeln, die klirrend zerbrachen. Stell dir vor, meine schönen Kugeln! Sie wollten einander wohl beweisen, wer der tollste Hecht ist, kletterten beim Nachbarn in die Bäume, scheuchten seine Katzen, jagten unsern Hund über die Felder, bespritzten sich mit dem Gartenschlauch und kamen nach getaner Tat wieder ins Haus getrampelt.

Pädagogisch geschult, schlug ich vor, ins Gästebuch zu schreiben, woraufhin sie sich um den Stift zankten und zu wundervollen Zeichnungen anfeuerten, Flugzeuge, Autos, Titanic-Untergänge, nackte Frauen und Männer mit ihren wichtigsten Details.
"So eine Austellung ist inspirierend", meinte die Mutter, der sie zum Bewundern und Loben das Buch vorlegten,  und sie korrigierte einen der Nudistenmaler, der wohl  etwas noch Wichtigeres vergessen hatte.
"Kommt einmal her", rief die Mutter ihre Süßen zusammen, "schaut euch einmal diese Zeichnung an, was fehlt da?"
Alle strömten herbei, starrten grinsend die Schmiererei im Gästebuch an und stupsten sich aufmunternd in die Seiten.
"Ich weiß schon", sagte der Künstler, ein Freund des Hauses, stolz umherblickend, "weiß ich doch längst selber. Ich wollte nur mal prüfen, ob ihr das merkt."
"Na?" forderte die Mutter sie auf. "Die Hoden", sagten sie, und die Mutter malte mit Kugelschreiber dem nackten Mann in meinem Gästebuch noch unübersehbare edle Teile hin.
Wohlgefällig betrachtete sie die Kinderschar, die vom Umgang mit Kunst solchermaßen angesteckt worden waren. ("Inspirierende Ausstellung!") Dabei hatte sie kaum einen Blick auf die Bilder der Ausstellung geworfen. Wenn sie diesen wenigstens auf ihre Brut geworfen hätte!
"Man muss Kinder schon frühzeitig an Kunst gewöhnen und sie mitnehmen zu Konzerten und Gottesdiensten", erklärte mir die Mutter. (Und da muss sie ausgerechnet bei uns mit diesem Punkt des Erziehungsprogramms anfangen!)
"Na und, gefallen euch die Bilder?" fragte ich. "Welches gefällt euch am besten?" Immerhin zeigte die Älteste auf ein Blumenbild, während die anderen nur meinten, die Bilder seien blödes Gekritzel, sie könnten das ebenso gut, wenn nicht noch besser,  und wenn sie ein solches Bild ihrem Zeichenlehrer zeigen würden, dann würde der sie beschimpfen und auslachen und wegschicken. Sie verdrehten die Augen, streckten die Zunge heraus, würgten und bedeuteten so, dass sie alles zum Kotzen finden. Aber das könnte sich auch auf die Äpfel bezogen haben, die sie anknabberten und dann dem Hund hinwarfen. Der aber mochte auch keine Äpfel essen.

Wir haben jetzt eine Einladung zu einem Gegenbesuch, und ich überlege mir, wen wir mitnehmen können, um die Fensterläden und den Computer zu demolieren, den Garten zu zertrampeln, die Wände zu beschmieren, eine Dusche zu nehmen, die Vorräte im Kühlschrank aufzuessen und kostbare Sammelstücke zu zerschlagen. Statt mich zu entschuldigen, würde ich dann den Gastgebern sagen, wie schlecht und grammatisch falsch sie Deutsch sprechen.

Kürzlich hörte ich von einem Jungen, der während der Abwesenheit der Eltern eine Party für seine 7 Freunde geben wollte, dann plötzlich über 80 Leute in seinem Haus hatte, die randalierten, klauten und alles kurz und klein hauten. Der Knabe hat sich in seiner Not völlig betrunken und schlief in diesem Chaos ein. Trotz des Lärms kam keiner der Nachbarn  zu Hilfe. Die Eltern sitzen jetzt völlig gebrochen und ruiniert auf den Trümmern ihres Zuhauses.

Ich weiß gar nicht, warum mir diese Geschichte einfällt. Es war doch gar keine Galerie.

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