Jakobsmuscheln

Verfasst am: 10. Juli 2002 von Barbara 1 Kommentar

Lieber Claudio,
wann immer ich am Strand entlanglaufe, suche ich nach Muscheln. Es könnte ja sein, dass gerade heute eine ganz besondere Muschel, ein seltenes Prachtexemplar, angespült wird, gerade vor meine Füße. Hier gibt es wunderschöne, vom Meer weiß gewaschene Muscheln, wir sagen dazu "SHELL- Muscheln", richtig heißen sie Jakobsmuscheln, weil sie Attribute des Heiligen Jakob sind, der in Santiago de Compostela begraben sein soll. Er ist der Patron der Pilger. Und eigentlich sind wir ewigen Pilger nicht nur bei der Muschelsuche, sondern gerade auf allen unseren Reisen ja auf seinen Spuren.

Unser Weg von der Ostsee zum Atlantik berührt alle Pilgerorte des Jakobsweges, ganz gleich, ob wir über Paris fahren oder über Lyon. Nur, es ist kein echter Jakobs-Pilgerweg, denn wir haben ja nicht Santiago de Compostela als Ziel, sondern unser mehr oder weniger unheiliges Dorf, und wir rasten auch nirgends in einer der alten Pilgerherbergen und besuchen selten die Heiligen in den Wallfahrtsorten am Wege – die liegen außerdem etwas weiter entfernt von der Autobahn. Wir haben es immer sehr eilig und machen diese Fahrten hin und her überdies ja auch nicht, um unser Sündenkonto zu dezimieren. Für uns evangelische Christen mit dem tiefen Wissen um das "SOLA GRATIA" ist es schwer, das Heil auf Pilgerfahrten und durch Heiligenverehrung zu finden.
Dennoch fühle ich mich nicht anders als die Wanderer, die wir "auf der Südwestachse" treffen oder die hier in Portugal nach Fatima pilgern, Menschen aller Stände, die in Scharen den beschwerlichen Weg unter die Füsse nehmen. Arm und reich geht hin, die einen zu Fuss, krank und leidend, die anderen etappenweise mit Bussen. Die einen wallfahren in Gruppen, Litaneien singend, einen Rosenkranz betend oder wie die Fatima-Pilger: fröhlich schwatzend, die anderen pilgern allein, still in sich versunken. Die einen sind auf der Suche nach Heil und Gesundheit, die anderen auf der Suche nach Erlebnis, Erfolg und Abenteuer. Die einen pilgern, um aus dem gewohnten Alltag auszubrechen, die anderen, um das Glück ("die blaue Blume") zu finden. Viele der Pilger machen sich auch auf den Weg, um am Heilsort ein Gelöbnis zu erfüllen und dem Heiligen Jakob oder der Lieben Frau für die von ihnen entgegengebrachte Hilfe zu danken. Sogar Strafwallfahrer sollen unterwegs sein: Zuhause verurteilt, büßen sie pilgernd ihre Strafe ab und werden begnadigt, wenn sie (falls sie je wieder nach Hause gelangen) ihren Pilgerausweis von Santiago vorzeigen können.

Die Santiago-Pilger sind meistens erkennbar an ihrem Stab und an der Reisetasche, aber auch an der Jakobsmuschel, die an den breitkrempigen Hut oder an den Umhang geheftet  ist. Diese große Muschel dient als Kollektenteller, als Essgeschirr und Trinkgefäß, man streckte bittend die Hand mit der Muschel hin und bettelte um Spenden oder Nahrung. Die Pastorin Inge Bräutigam, die in Mecklenburg solche Pilgerfahrten von Gemeinde zu Gemeinde durchführt, benutzte die Jakobsmuschel gerne als Trinkbecher. In vielen Kirchen wird mit der Jakobsmuschel getauft, wenn man das Taufwasser nicht in der "Handmuschel" austeilt.

Nur leider, es gibt gar keine Muscheln mehr.
Ich suche und suche das ganze Jahr. Weder nach großen Stürmen noch nach Vollmondnächten, weder bei Ebbe noch bei Flut – da liegt nichts mehr am Strand.
Es ist so wie mit den Maikäfern (Reinhard Mey) und mit den Pilzen -
Früher, ja, früher, da gab es das alles in Hülle und Fülle.
Früher dekorierten die Menschen hier sogar ihre Hauswände mit Jakobsmuscheln.

Aber vielleicht wird ja doch mal wieder eine Muschel an den Strand gespült.
Vielleicht morgen, wenn ich da langgehe.
Wir werden sehen.

Eine Antwort

  1. Katharina schreibt:

    Liebe Barbara,
    dieses Buch "Muscheln in meiner Hand" waren wohl mal der Renner für Selbstfindung. Ich erinnere mich, dass in unserem Bücherregal mindestens 5 Exemplare zu finden waren und das in verschiedenen Ausgaben: Paperback, Leinengebunden, Schwarz-weiß oder mit Buntfoto auf dem Einband. Selbst meine Schwester erhielt zu ihrer Konfirmation (!) Ende der 80er dieses Buch. Merkwürdig eigentlich. Aber ich kann Dich gut verstehen, am Meer erwacht mein Sammlertrieb regelmäßig. Und wann werden einem die Schätze der Natur schon so vor die Füße gespült(?), oder ist es nur das Geheimnis der Meeresbewohner, dem wir da näher kommen wollen? Jedes Meer hat wohl auch seine eigenen Muscheln. Heute zeigte mir jemand die Muscheln aus Bulgarien – geschwungene Tritonshörner. Sie erinnern mich an die antiken Darstellungen von Neptun und Gaia oder Demeter, entschuldige, aber in der Mythologie komme ich immer durcheinander, jedenfalls werden beide öfter mit so einem gewundenen Muschelhorn dargestellt, und selbiges fließt über von Wasser und Meerestieren, oder Früchten – echter Überfluß !
    Außerdem erinnere ich mich daran, dass meine ersten "Schatzkisten" aus Zigarrenkisten mit Gipsüberzug und Muscheln bestanden.
    So scheint der Reichtum irgendwie mit den Muscheln und dem Meer verbunden zu sein. Grüß mir den Atlantik – .
    Katharina

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